Geachteter Intellektueller: Ex-Kultusminister Hans Maier wird 90
Der langjährige Kultusminister Hans Maier ist ein streitbarer Katholik und geachteter Intellektueller. Sein Lebenswerk kommt ihm vor wie ein großer, hoch aufgeschichteter Heuwagen.
In 70 Jahren Kopfarbeit kann sich schon einiges an selbst verfassten Texten ansammeln. Dass es so viel ist, was da an Büchern, Aufsätzen, Interviews, Essays, Reden sowie Vor- und Nachworten zusammengekommen ist, aber hat Professor Hans Maier dann doch überrascht.
Kurz vor seinem 90. Geburtstag, den er an diesem Freitag feiert, hat der frühere bayerische Kultusminister (1970 bis 1986) Inventur gemacht. „Soeben hat“, so berichtet er unserer Redaktion, „meine langjährige treue Sekretärin das lebenslang Geschriebene in einer Bibliographie zusammengefasst, die von 1950 bis 2020 reicht und nicht weniger als 1745 Nummern umfasst – die Fülle erschreckt mich fast.“
Genug allerdings hat er noch lange nicht. Maier schreibt immer noch. Sein neuestes Buch „Deutschland, Wegmarken seiner Geschichte“ ist gerade erst erschienen. Es endet mit einem Plädoyer: „Die Bundesrepublik Deutschland verdient unser Vertrauen, sie hat sich in normalen Zeiten wie auch in wirtschaftlichen und politischen Krisen bewährt. So dürfen wir ihr mit jener bürgerlichen Loyalität begegnen, ohne die keine Demokratie existieren und gedeihen kann.“ Hans Maier mischt sich ein – nach wie vor.
Hans Maier sprach aus, was andere Politiker nicht sagen konnten
Maiers politische Karriere begann 1968 im Jahr der linken Studentenrevolte. Dass er neben seinen beiden eigentlichen Berufen – Organist und Professor für Politikwissenschaft – damals den Weg in die Politik gefunden hat, lag an einer besonderen Situation. Die CSU steckte in einer Krise. Sie hatte in der Bildungspolitik keine Antwort auf die Herausforderung von links. „Das Kultusministerium“, so Maier, „galt als gefährliches Ressort.“ Keiner der Parteigranden wollte ran. Also holte CSU-Chef Franz Josef Strauß 1970 den damals noch parteilosen Politikwissenschaftler ins Kabinett.
Die CSU war in den 68er Jahren, so erinnert sich Maier, „trotz solider Mehrheit im öffentlichen Leben nahezu sprachlos geworden – in einer Zeit, in der alles ’in Marx- und Engelszungen’ redete. Ich kannte die Sprache der Linken, konnte mich kritisch mit ihr auseinandersetzen. In stürmischen Parlamentsdebatten konnte ich der CSU ein Stück Sprache zurückgeben. Ich weiß noch, wie ein CSU-Abgeordneter mich auf die Schulter schlug und ausrief: ’Hans, du Hund’ – du hast gesagt, was wir immer sagen wollten, aber nicht sagen konnten.“
Auch heute noch ist Maier kein bisschen leise. Dass die Kulturpolitik „in ganz Deutschland, in allen Parteien“ an den Rand gerückt ist, bedauert er: „Wissen wir noch, was Kultur ist, was sie von Fitness-Studios, Spielhallen, Spaßbädern, von ’Vergnügungs- und Freizeitgestaltung’ – so die heutige Verwaltungssprache – unterscheidet? Gibt es noch ein Verständnis von Bildung, das allen eigen ist, um das sich alle oder wenigstens die meisten mühen? Einen Kanon des Wissenswerten, Wissensnotwendigen? Und zugleich eine Sprache, die alle (oder fast alle) verstehen, die Examinierten wie die Nicht-Examinierten, die Fachleute wie auch die ’ganz normalen’ Bürgerinnen und Bürger?“
Hans Maier gilt als streitbarer Katholik
An einem solchen Verständnis, so fordert er, müsse in Zeiten nach Corona intensiv gearbeitet werden. „Hier müssen Pädagogen, Künstler und Wissenschaftler zusammenwirken und sich kritisch um einander kümmern, damit Kultur neu entsteht und Kulturpolitik sie fördern und weiterbilden kann.“
Maier ist in der Wissenschaft ein geachteter Intellektueller. In der Kirche gilt er als streitbarer Katholik. Mit Joseph Kardinal Ratzinger, dem späteren Papst Benedikt XVI., der damals noch Theologieprofessor in Regensburg war, veröffentlichte er 1970 die international Aufsehen erregende Studie „Demokratie in der Kirche: Möglichkeiten und Grenzen“. Von 1976 bis 1988 war er Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken.
Auch aus theologischer Warte hat er der Politik aktuell etwas zu sagen: „Wenn man etwas bewirken will, muss man zu den Wurzeln gehen. Das würde ich heute agierenden Politikern – und Lernenden und Handelnden überhaupt – raten.“ Die christlichen Wurzeln unserer freiheitlichen Ordnung seien auch heute noch gut sichtbar. „Mann muss nur die Augen aufmachen“, sagt Maier, „Was wäre unser Rechtsstaat ohne den Satz: Recht geht vor Macht? Staaten ohne Gerechtigkeit sind nichts als große Räuberbanden, sagte schon Augustinus. Und was wäre unser Sozialstaat ohne den Bezug zur Nächstenliebe? Nur eine seelenlose Maschine.“
"Ich blicke auf mein Lebenswerk wie auf einen hoch aufgeschichteten Heuwagen"
An seinen Prinzipien hielt Maier in der Politik fest – als Kultusminister und auch als Landtagsabgeordneter für den Stimmkreis Günzburg (1978 bis 1987). Er drohte, heute kaum noch vorstellbar, mindestens zweimal mit seinem Rücktritt als Minister, kritisierte öffentlich die Sparpolitik der Staatsregierung und verteidigte seine Unabhängigkeit auch gegenüber dem machtbewussten CSU-Chef. Als Strauß 1986 sein Ministerium in Kultus und Wissenschaft aufspaltete, legte Maier sein Ministeramt nieder. Die CSU war, auch wenn er bis heute Parteimitglied ist, ihr intellektuelles Aushängeschild wieder los.
Hans Maier arbeitete weiter als Professor, Publizist, Organist und ehrenamtlich in der Kirche. Er wurde für seine Leistungen mit Ehrungen und Preisen überhäuft. Orgelkonzerte gibt er zwar seit 1999 nicht mehr. In seiner Münchner Pfarrei aber spielt er noch regelmäßig bei Gottesdiensten. Und in den Landkreis Günzburg hält er bis heute Kontakt. Die nach ihm benannte Realschule in Ichenhausen, die dortige Synagoge und das Schulmuseum besucht er immer wieder. „In meiner Münchner Wohnung hängt ein großes Bild: alle Schüler und Lehrer der Hans-Maier-Realschule in Herzform aufgestellt zu meinem Geburtstag! Das erfreut und verbindet“, erzählt Maier.
Wenn die Familie zu seinem Ehrentag zusammenkommt, dürfte der Andrang groß werden. Maier und seine Frau Adelheid haben sechs Töchter, neun Enkel und zwei Urenkel. Sie alle werden einen Jubilar erleben, der mit sich im Reinen ist. Maier formuliert es so: „Ich blicke auf mein Lebenswerk wie auf einen großen, hoch aufgeschichteten Heuwagen – vieles wird herunterfallen, das ist sicher. Wird auch etwas bleiben? Ich hoffe es.“
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