Tragödie von Arnstein: Könnte der Angeklagte straffrei bleiben?
Ein Vater kümmert sich um das Geburtstagsfest seiner Tochter - und tötet durch einen falsch benutzten Generator zwei seiner Kinder und vier Freunde. Ein Grenzfall für die Justiz.
Das Schicksal des 52-jährigen Kraftfahrers Andreas P. geht schon am ersten Prozesstag am Mittwoch vor dem Landgericht Würzburg vielen Beobachtern nahe. P. hat bei einer schrecklichen Tragödie zwei seiner Kinder verloren. Und seit dem Prozessauftakt weiß man: Er und seine Frau mussten schon einmal ein eigenes Kind zu Grabe tragen – das deutet die Verteidigung in der Erklärung an. "Das ist das Schlimmste, was Eltern passieren kann." Im Gerichtssaal sitzt der Mann zusammengesunken auf seinem Stuhl. Im Gerichtsprozess weint er viel und antwortetet den Richtern nur mit einem Kopfnicken oder -schütteln. Immer wieder vergräbt er den Kopf in seinen Händen. Dann blinzelt er Tränen weg.
Arnstein: Dieser Fall könnte in die juristischen Lehrbücher eingehen
Die Verteidiger des Mannes könnten mit dem Paragrafen 60 des Strafgesetzbuches argumentieren. Demzufolge kann ein Gericht von einer Strafe absehen, wenn die Folgen der Tat für den Täter bereits so schwer sind, dass die Verhängung einer Strafe offensichtlich verfehlt wäre. Der Fall von Arnstein hat damit gute Chancen, in die Lehrbücher der Rechtswissenschaften einzugehen – als Beispiel für die sogenannte "poena naturalis". Dieser lateinische Begriff des Philosophen Immanuel Kant meint, dass jemand durch die Folgen seiner Tat schon genug gestraft ist.
Das deutsche Strafgesetzbuch (StGB) sieht im Paragrafen 60 tatsächlich die Möglichkeit vor, dass ein Gericht in derlei tragischen Fällen einen Angeklagten zwar schuldig sprechen, auf eine Strafe aber verzichten kann. Wörtlich heißt es: "Das Gericht sieht von Strafe ab, wenn die Folgen der Tat, die den Täter getroffen haben, so schwer sind, dass die Verhängung einer Strafe offensichtlich verfehlt wäre." Ein klassisches Beispiel aus dem Jura-Studium ist der Landwirt, der mit dem Traktor sein Kind totfährt.
Dieses Absehen von Strafe passiert sehr selten: 2014 haben deutsche Gerichte nur in 302 Fällen davon Gebrauch gemacht, das sind 0,05 Prozent aller Schuldsprüche. Die Regelung hat zudem Grenzen. Sie darf nur angewandt werden, wenn es um höchstens ein Jahr Freiheitsstrafe geht.
Klarer Fall für einen Strafverzicht? So einfach ist es nicht
Im Fall Arnstein ist der Angeklagte durch die Folgen seiner Tat zweifellos schwer getroffen. Tochter und Sohn sind tot. Also ein klarer Fall für einen Strafverzicht? So einfach ist es nicht. Gerichtssprecher Michael Schaller gab zu bedenken, dass nicht nur die Kinder des Angeklagten, sondern auch vier weitere Jugendliche in der Gartenlaube starben. Zwei Familien sitzen als Nebenkläger im Gerichtssaal. Nebenklage-Anwalt Wolfgang Kunz sagt über seine Mandanten: "Es geht ihnen nicht gut. Sie haben ihr einziges Kind verloren."
Die Eltern der toten Teenager – das lässt Andreas P. noch verlesen – sollen uneingeschränkt Antworten bekommen, damit sie das Geschehen verarbeiten können: "Wir befinden uns in Trauer. Es ist nichts verarbeitet. Ich selbst muss neben der Trauer mit der Schuld leben."
Der Prozess wird am kommenden Montag fortgesetzt. hogs/dpa
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