Robbie Williams in München: Der Popstar begeistert immer noch
Vor zehn Jahren krönte sich Robbie Williams zum „König des Pop“. Jetzt begeistert er wieder in ausverkauften Stadien wie am Mittwoch in München – als wäre er noch derselbe.
Gleich der Auftakt weist den Kurs. Wie vor zehn Jahren schwebt Robbie Williams in München zu den Klängen seines programmgemäß einpeitschenden Hits von weit oben herab zu seinen fast 70 000 Fans im Olympiastadion: „Let Me Entertain You!“ So wird er in Geste, Wort und Spielchen zwei Stunden lang die größten Momente seiner damaligen Tour zitieren, mit der er sich zum „König des Pop“ krönte – und dann auch mit der Monsterballade „Angels“ enden.
Doch diesmal startet er das Spektakel nicht waghalsig kopfüber am Bungeeseil aus dem Bühnenaufbau hängend – Robbie Williams steht auf der Stirn eines wohl 15 Meter hohen Abbildes seines eigenen Gesichtes, das als Halbplastik die mächtige Konstruktion krönt und diesen ganzen Mittwochabend optisch prägt. Das bekannte Unterhaltungsfeuerwerk hat eine neue Dimension an Größenwahn erreicht. Später werden zusätzlich fahrbare Großbüsten mit unterschiedlichen Gesichtsausdrücken Luftballons in den Himmel entlassen, Feuer- und Wasserfontänen sprühen, gleich einem Schiff samt Band in die Zuschauer gleiten.
Alles passend zu seinem aktuellen Album, das nicht nur eines dieser Abbilder in Gold ziert, sondern das auch noch „Take The Crown“ heißt: „Hol Dir die Krone“ – eine Koketterie mit dem Pop-Thron. Mehr Hybris in einem an Selbstinszenierung ja nicht armen Geschäft war wohl nie. Ist der Brite jetzt völlig übergeschnappt?
Robbie Williams: Ein grandioser Selbstinszenierer, der sich vor sich ekelt
Bei ihm muss man vielleicht davon ausgehen, dass genau das Gegenteil stimmt. Denn spätestens, seit sich Robbie Williams aus den Zwängen seiner jugendlichen, grandios erfolgreichen Anfänge in der Boygroup „Take That“, in der er auf den Klassenkasper abonniert war, gelöst hat, ist er der Star des Widerspruchs. Ihm vom Produzenten Guy Chambers auf den Leib geschriebene Hits wie „Come Undone“ beschreiben dies aufs Trefflichste. Robbie Williams ist als Entertainer ein Verzauberer der Massen – und er leidet an Agoraphobie, einer Angst vor Öffentlichkeit.
Robbie Williams ist ein grandioser Selbstinszenierer – und fühlt Selbstekel, muss immer wieder wegen Depressionen in Therapie. Robbie Williams singt die innigsten Liebeslieder – und beschreibt sich darin als zur Liebe ungeeignet, gibt auf der Bühne den sexistischen Aufreißer. Ist insofern die nun völlige Übersteigerung des Größenwahns nicht nur ein logischer Schritt weiter?
Vor zehn Jahren hat ihm die völlige Selbstentäußerung den künstlerischen Zenit seiner Karriere beschert. Bei der nächsten Tour 2006 folgte daraufhin der kommerzielle Zenit, als er allein in München dreimal in Serie das Olympiastadion füllte. Und dieses Mal kommt nun der komödiantische Zenit, ein Brechen des Popstar-Kultes durch seine bis zur Lächerlichkeit übersteigerte Darstellung. Wäre es so nicht auch zu erklären, dass dieser Robbie Williams mit inzwischen 39 Jahren auf der Bühne pubertärer ist als je? In München etwa nehmen die Schlüpfrigkeiten gar kein Ende. Ständig züngelt er in Großaufnahme frivol von den Videoleinwänden, er verliest feierlich auf Deutsch eine Ansage über die Maße seiner Männlichkeit, er betatscht Bandmitglieder, auf die Bühne geholte Fans …
Jetzt ist der Popstar Ehemann und Vater
Und ebenso ungebremst geht’s um den Kommerz: Leuten, die außerhalb des Stadions von einem Riesenrad wohl einen Blick aufs Konzert erhaschen wollen, ruft er zu, sie hätten gefälligst Eintritt bezahlen sollen; bevor die Riesenmaske über die Bühne zum Song „Me & My Monkey“ durch Spezialeffekte zum Leben erweckt wird, ermahnt er die Zuschauer, die sollten das gefälligst genießen, es habe ihn schließlich ein Vermögen gekostet. Er ist Robbie Williams, er kann machen, was er will – weil er genau weiß, was er da macht? Ist er so? So kalkuliert?
Aufs Erwachsenwerden zumindest weist hin, wie sich das Leben dieses Stars in den vergangenen Jahren verändert hat. Williams ist nach vielen Eskapaden seit inzwischen drei Jahren skandalfrei mit der Schauspielerin Ayda Field verheiratet, seit knapp einem Jahr Vater von Theodora Rose, die ihn nun auch samt Mama auf Tour begleitet und jeden Morgen um fünf weckt. Robbie Williams wechselt Windeln. Und er hat dieses Jahr ein Modelabel namens „Farrell“ gegründet. Es ist nach seinem Großvater benannt, der noch in Kohlegruben in Robbies Heimat, dem tief provinziellen Nest Stoke-on-Trent, schuftete.
Trenchcoats, gesteppte Westen, grobe Strickpullover, Seemannshemden – es ist der auf Qualität getrimmte Chic von einst, der hier regiert und für den Popstar ein Ideal, das darin verwahrt liegt. Opa Farrell nämlich sei einerseits für ihn ein Arbeiterheld, hart und diszipliniert, anderseits aber auch ein Mann von Anspruch gewesen, in der Freizeit immer elegant gekleidet, im Dreiteiler, mit Pomade im Haar. Bislang war Robbie Williams der Sohn eines Gelegenheitszauberers – soll man nun also an bürgerliche Aufrichtigkeit denken, Fleiß und Geschmack?
Wieder klafft hier etwas in diesem öffentlichen Leben meilenweit auseinander. Und wahrscheinlich liegt auch hier wieder die Wahrheit in der Richtigkeit beider Extreme: Kalkül und Wahnsinn. Aber was bedeutet das für den Künstler Robbie Williams 2013 und fortfolgend?
Er sagt zwar in Interviews, dass ihn der Ehrgeiz antreibe, noch einmal einen Song wie „Angels“ zu schreiben; und er sagt auch, dass er es mit jedem aufnehmen wolle, der ihm den Thron als Pop-König streitig machen wolle. Aber popmusikalisch scheinen die besten Zeiten eindeutig hinter ihm zu liegen. Das Gefälle zwischen der Reaktion des Publikums in München auf die alten Hits und die neuen Songs ist so gravierend, dass es nicht allein der Gewohnheit geschuldet sein kann: frenetisches Feiern zu „Feel“, freundliche Duldung bei „Be A Boy“. Das verheißt nichts Gutes.
Robbie Williams in München: Mit "Thake That" aus der Versenkung
Natürlich könnte er wohl noch manche Tour mit den alten Hits die Stadien füllen – aber will er das? Sein Schwärmen jedenfalls gilt David Bowie, einem künstlerischen Chamäleon, und seine Gedankenspiele gelten dem Swing, den er von Kindheit an liebte, auf den er sich vielleicht zurückziehen werde. Sagt er. Aber muss man darauf etwas geben? Meint er, aus der Rolle des Pop-Helden jemals öffentlich ausbrechen zu können? Könnte er, der nie klein angefangen hat, sich tatsächlich bescheiden?
Das Riesenabbild im aktuellen Bühnenaufbau jedenfalls wirkt über weite Strecken des Abends hinweg wie eine Totenmaske, erhaben, gerade angesichts des fleißigen Treibens des Originals darunter. Und hatte er sich nicht schon nahezu verabschiedet, zurückgezogen in den USA lebend, wo seine Alben noch nicht mal mehr erscheinen? Die Wahnsinnsverpflichtung auf sechs Alben beim Musikriesen EMI hatte er doch da bereits abgearbeitet. Die jetzige Tour jedenfalls, sagt Williams, hätte es sicher nicht gegeben, wenn er sich nicht für das gemeinsame Comeback von „Take That“ vor zwei Jahren aus der Versenkung hätte zurückholen lassen. Nun aber ist der Spieler wieder in seinem Element, füllt die gewohnte Rolle mit noch mehr Wucht aus – und überschreitet dabei die Schwelle vom Entertainment zur Travestie sogar mit Lust.
Vielleicht ist das der Test, ob Williams die Dämonen beherrschen kann
Das Wesen des Spielers aber ist es, dass er seiner Leidenschaft nicht Herr ist. Er kann sich ihr nur vollständig entziehen, oder er riskiert, in ihr unterzugehen. Die letzte Tour vor sieben Jahren etwa hatte ihn erschöpft zusammenbrechen und in eine Depression fallen lassen, hätte ihn fast zerstört. Vielleicht erleben wir also derzeit Robbies Versuch – mit Familie auf Tour, in vergleichsweise gedrosselter Taktzahl an Terminen –, sich das Gegenteil zu beweisen. Zu beweisen, dass er sogar die völlige Selbstentäußerung, die er auf der Bühne betreibt, kontrollieren kann. Weil er jetzt einen Anker im Leben gefunden hat und er sich das alte Ich nur noch als Rolle überstreifen kann. Zu beweisen, dass der König des Pop den Spagat zwischen Kalkül und Wahnsinn aushält. Das Abbild im Bühnenaufbau als Ideal des über all dem und in sich ruhenden Robbie Williams. Falls nicht?
Gut möglich, dass Robbie Williams dann nie wieder auf einer Tour wie dieser zu erleben sein wird. Vielleicht wäre das gar nicht das schlechteste Zeichen für ihn.
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