Vom Anwalt zum KZ-Insassen: Hans Litten nahm Hitler in den Zeugenstand
Hans Litten machte sich als Anwalt in den Dreißigerjahren Adolf Hitler zum Feind. Seine Nichte hielt nun in Mertingen eine Lesung aus dem Buch, das Littens Mutter über ihn geschrieben hat.
Name: Hans Litten. Geboren am 19. Juni 1903 in Halle (Saale), gestorben am 5. Februar 1938 als politischer Häftling im KZ Dachau. Geboren in eine gutbürgerliche Familie. Der Vater Ordinarius, Berater der preußischen Reichsregierung, die Mutter Irmgard aus einer schwäbischen Pastoren- und Professorenfamilie stammend. Als erstgeborener Sohn schloss Litten sein Jurastudium glänzend ab – rebellisch lehnte er eine Stellung im Reichsjustizministerium und damit eine glänzende Karriere ab. Eine Einstellung, die sich durch sein ganzes Leben zog. Patricia Litten, seine Nichte, liest in Mertingen aus dem Buch "Eine Mutter kämpft gegen Hitler", verfasst von Hans Littens Mutter Irmgard, – und nimmt jeden mit.
Hans Litten tat sich nach der abgelehnten Stellung mit dem der KPD nahestehenden Rechtsanwalt Ludwig Barbasch in einer Kanzlei zusammen, die ihre Mandate häufig über die Rote Hilfe erhielt. In dem durch Streiks, Arbeitslosigkeit, Not, Elend und Arbeitskämpfe gezeichneten Berlin der Weimarer Republik, in dem bürgerkriegsähnliche Zustände herrschten, machte sich Litten schnell einen herausragendene Namen als Strafverteidiger, besonders für die Opfer nationalsozialistisch angezettelter Schlägereien oder Morde. Politisch unabhängig, ein freier Geist, sah sich eher als Anarchist - und handelte doch im Sinne der Bergpredigt.
Patricia Litten liest in Mertingen aus dem Buch über das Leben ihres Onkels
Den Grund für seinen von Hitler persönlich gewollten Untergang legte er mit seinen peniblen, die politischen Ursachen eines Verfahrens aufzudecken suchenden Beweisanträgen, glasklarer Rhetorik, brillanter Sachkenntnis. Rudolf Olden, einer der profiliertesten Journalisten der Weimarer Republik, schrieb 1940 in seinem Vorwort zu den Erinnerungen Irmgard Littens „Er war... radikal. Sein Radikalismus trat zutage in der Formulierung von Fragen […], die scheinbar Entferntes, ja den ganzen Staatsaufbau umfassten, wo die Verhandlung nur um eine Straßenrauferei zu gehen schien.“
Als die Demokratie in Deutschland ins Wanken geraten, diskreditiert war, eine Diktatur angestrebt wurde. Litten warnte in den Gerichtsverfahren vor dem immer stärker werdenden Nationalsozialismus. Im sogenannten „Edenpalast-Prozess“, Litten verteidigte Opfer eines Angriffs von SA-Leuten, beantragte er die Vernehmung von Adolf Hitler zum Mai 1931. Ob der Einsatz des SA-Sturms 33, ein Rollkommando mit Kenntnis der Parteileitung und dem Ziel, Menschen zu töten, angeordnet worden sei. Litten trieb den tobenden Hitler mit eigenen Zitaten so in die Enge, dass Hitler seine Verfassungstreue mit einem Meineid beschwor. Hitler vergaß diese Blamage nicht.
Irmgard Littens Rettungsversuche führten sie zur Spitze des NS-Regimes
Und so kam es, dass in der Reichsprogromnacht Litten wie viele andere Gegner der Nationalsozialisten in „Schutzhaft“ genommen wurden. Aus der Untersuchungshaft in Spandau wurde er in das KZ Sonnenburg verlegt und dort, als bekennender Nazi-Gegner, gefoltert: Schwere Beinverletzungen, eine Kieferfraktur, Knochenhautentzündung, herausgebrochene Zähne, ein verletztes Mittelohr und eine Augenverletzung, die nie mehr heilen sollte, waren die Folge. In den Konzentrationslagern, in die er verlegt wurde, Sonnenburg, Brandenburg, Esterwegen Lichtenburg, Buchenwald und Dachau war er dauernden Misshandlungen ausgesetzt. Zahllose Versuche seiner Mutter, ihn durch Petitionen zu retten, führten sie bis zu den Spitzen des Regimes - blieben jedoch erfolglos. Bar jeder Hoffnung erhängte sich Hans Litten am 5. Februar 1938 in Dachau. Seine Familie flüchtete aus Deutschland. Mutter Irmgard, die all die Jahre versucht hatte, ihren ältesten Sohn am Leben zu erhalten, schrieb ihre Erinnerungen nieder.
Cellistin Birgit Sämann spielt Werke von Johann Sebastian Bach, die von Litten geliebte Matthäus-Passion, untermalt eindringlich das schon im Mittelalter bekannte Gedicht „Die Gedanken sind frei“. Veranstaltungen wie diese mahnen zur Wachsamkeit. Die Besucher, die der Lesung beiwohnten, haben diese Aufforderung verstanden. Am Ende war Schweigen. Kein Klatschen. Die Anerkennung, die sie diesem Mann und seiner Mutter zollten, sah anders aus – sie erhoben sich und standen minutenlang schweigend, ehrerbietig. Ehe sie sich zerstreuten.
Die Diskussion ist geschlossen.