Angeklagter droht „Kümmeltürken“ mit Dachau
Volksverhetzung war nur ein Delikt von mehreren, für das sich ein 62-Jähriger vor dem Amtsgericht Günzburg verantworten musste. Nun muss er in die KZ-Gedenkstätte.
Es war eine ganze Litanei von Schuldvorwürfen, die die Staatsanwaltschaft gegen den ohne Verteidiger bei Gericht erschienenen Angeklagten vorbrachte: Beleidigung, Androhung von schweren Straftaten, Störung des öffentlichen Friedens durch Volksverhetzung und Angriff auf die Menschenwürde – nicht nur einmal, sondern mehrfach begangen.
Der aus dem nördlichen Landkreis stammende Angeklagte hatte ab Februar 2018 fünf handschriftliche Briefe mit übelstem Inhalt an die Islamische Kultusgemeinde und den türkischstämmigen Inhaber eines Günzburger Geschäftes geschickt, in denen er die Adressaten als „Kümmeltürke“ beschimpfte, und unter anderem drohte, dass ihre Minarette und Kopftücher brennen würden und sie, wenn bald eine neue Regierung an der Macht sein werde, „in Dachau“ landen würden, falls sie in Deutschland blieben.
Keine Antworten auf die Fragen des Richters
Der 62-jährige Angeklagte gestand, die Briefe verfasst zu haben, und versicherte, niemandem etwas tun zu wollen. Seine Machwerke erklärte er damit, dass es einfach „zu viel gewesen“ sei, was „die sich rausnehmen“ würden. Und zum Beleg führte er, Berufskraftfahrer, Beispiele angeblich unerhörten Verhaltens türkischer Personen im Straßenverkehr auf. Auf die Frage von Richter Walter Henle, weshalb er nicht einfach die Ordnungshüter benachrichtigt habe, wenn es sich denn um so schwerwiegendes Fehlverhalten gehandelt habe, wusste der Angeklagte keine Antwort. Ebenso wenig auf Henles Frage, worin sich ein türkischer Autokorso von einem deutschen Hochzeitskorso unterscheide.
Der Leiter des Amtsgerichtes äußerte die Vermutung, dass nicht das Fehlverhalten einer Personengruppe die Wahrnehmung des Angeklagten leite, sondern dessen braune Gesinnung seine Wahrnehmung steuere. Schließlich würden statistisch von der inkriminierten Personengruppe nicht mehr Straftaten begangen als von Deutschen.
Empörung über möglichen türkischstämmigen Bürgermeisterkandidaten
Die Grundhaltung des Angeklagten zeigte sich trotz seiner immer wieder beteuerten Reue und den formulierten Entschuldigungen auch in Nebenbemerkungen. So empörte er sich darüber, dass in Leipheim ein türkischstämmiger Deutscher als Bürgermeisterkandidat ins Gespräch gekommen war mit den Worten: „Was die sich herausnehmen.“ Walter Henle versuchte, dem Angeklagten die Grundgedanken unseres Grundgesetzes und der Demokratie zu vermitteln, und lenkte die Aufmerksamkeit des Beschuldigten auf einzelne Punkte seines Schreibens. Ob er sich als über 60-Jähriger nicht daran erinnern könne, dass in seiner Jugend das Kopftuch in Schwaben eine übliche Kopfbedeckung der Frauen war und was ihn nun an Kopftüchern störe.
Echte Antworten blieb der Angeklagte schuldig, auch als er nach der Funktion der Konzentrationslager und speziell nach der Gruppe der Inhaftierten in Dachau gefragt wurde. Er konnte zwar relativ viele Konzentrationslager aufzählen, das habe er im Fernsehsender Phönixerfahren; doch bei der Frage nach dem Zweck der Lager wurde er kleinlaut.
Ein Defizit im Geschichtsunterricht des Angeklagten?
Walter Henle führte ein drastisches Bild der Ermordungsmaschinerie vor Augen, die er mit den individuellen menschlichen Schicksalen verknüpfte. Der Richter vermutete ein Defizit im Geschichtsunterricht des Angeklagten, das er in seinem Urteil ein wenig auszugleichen versuchte. Der Angeklagte muss das Konzentrationslager in Dachau im Rahmen einer Führung besuchen und sich diese Lehrstunde auch bestätigen lassen.
Die Staatsanwaltschaft hatte für die nicht tolerierbare Hasskriminalität eine elfmonatige Haftstrafe für den bislang Unbescholtenen gefordert, ausgesetzt auf drei Jahre Bewährung, und eine Geldauflage von 2400 Euro. Das Gericht bestätigte in seinem Urteil, dass für die hohe negative Qualität der Taten mit ihren Äußerungen zur Verteidigung der Rechtsordnung nur eine Freiheitsstrafe in Betracht komme und nicht, wie vom Angeklagten im letzten Wort erbeten, eine Geldstrafe.
Henle verurteilte den Mann zu elf Monaten Haftstrafe, ausgesetzt auf zwei Jahre Bewährung, und der Leistung einer Geldauflage in Höhe von 1600 Euro an die Versöhnungskirche des KZ Dachau. Die Geldbuße solle dem Angeklagten bewusst machen, dass er ein verurteilter Straftäter ist. Der Besuch in Dachau, mahnte der Richter, sei unerlässlich. Ebenso unerlässlich sei auch, dass der Verurteilte ihn mit offenen Augen und offenem Herzen absolviere, um das Erfahrene auf sich wirken zu lassen. Das Urteil wurde sofort rechtskräftig, da es der Verurteilte mit serviler Beflissenheit akzeptierte.
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