Festakt in Ichenhausen: Jenische wollen als nationale Minderheit anerkannt werden
Das Internationale Kulturfest zeigte, welche Probleme die Jenischen hatten und noch immer haben und warum sie die Öffentlichkeit scheuen.
Mit einer erlesenen Gästeliste demonstrierten die Jenischen zum 3. Internationalen Jenischen Kulturfest, dass sie nicht mehr am Rande der Gesellschaft leben und nun ihre aus dem Artikel 1 des Grundgesetzes hergeleiteten Rechte einfordern. Der 2019 ebenfalls in Ichenhausen gegründete Zentralrat der Jenischen in Deutschland hat viel Arbeit geleistet und ist aktiv im Aufbau von gesellschaftlichen und politischen Netzwerken, um die Anerkennung als nationale Minderheit, wie sie ihre Kollegen in der Schweiz und Irland bereits haben, voranzutreiben.
Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau stellte sich in Ichenhausen als Kämpferin für die Bürgerrechte und gegen Menschenfeindlichkeit vor. Zwar habe man seit 2018 einiges erreicht, einen Antisemitismusbeauftragten und einen Antiziganismusbeauftragten ernannt, mit einem Bundestagsbeschluss 2019 alle Verfolgten der NS-Zeit, also auch die Jenischen, als Opfer anerkannt, doch mehr als ein Ausstellungskonzept sei bislang nicht zustande gekommen. Die Umsetzung der Beschlüsse sei unzureichend, beklagte Pau und wies darauf hin, dass Straftaten gegen Minderheiten derzeit einen traurigen Höhepunkt erreicht hätten.
Petra Pau will Jenische als nationale Minderheit anerkennen
Sie werde, versprach Pau, in dieser Legislaturperiode das wichtigste Anliegen des Zentralrates der Jenischen in Deutschland, die Anerkennung als nationale Minderheit, hörbar auf die Tagesordnung des Bundestages bringen und damit die Empfehlung des Europarates in die Legislative tragen. Wie wenig auch auf offizieller Seite über die Jenischen bekannt sei, habe sie über den wissenschaftlichen Dienst des Bundestages erfahren. Keine ihrer Fragen zu Geschichte, Kultur, Gegenwart der Jenischen konnte auch nur im Ansatz beantwortet werden. Allerdings nahm Pau auch die Jenischen selbst in die Verantwortung: „Sie haben es selbst in der Hand, Ihre Identität zu leben, Öffentlichkeitsarbeit zu leisten, Ihre Musik, Kultur und Sprache zu pflegen und bekannt zu machen.“
Renaldo Schwarzenberger, der Präsident des Zentralrats der Jenischen, hatte in seiner kämpferischen Rede eine Erklärung für die Scheu vor der Öffentlichkeit. Über Jahrhunderte wurden die Jenischen als Randgruppe ausgegrenzt, von der Gesellschaft verachtet, von der Obrigkeit schikaniert und im Nationalsozialismus vertrieben, verfolgt, ermordet. „Das Leugnen der eigenen Identität wurde zur Überlebensstrategie. Zu tief sitzt das Misstrauen gegenüber Staat und Obrigkeit, zu allgegenwärtig sind auch heute noch Vorurteile, Ausgrenzung und Diskriminierung.“ Für den Zentralrat gibt es nur einen Weg, das Trauma zu durchbrechen: die Anerkennung als nationale Minderheit. „Wir wollen endlich unseren rechtmäßigen Platz in der Mitte der Gesellschaft. Wir wollen als ein Teil dieses Landes akzeptiert und respektiert werden, und zwar als das, was wir sind, als Jenische!“
In Ichenhausen wurde die Minderheit der Jenischen früher diskriminiert
In Ichenhausen, wo sie etwa zehn Prozent der Bewohner stellen, könnten die Jenischen auf die Unterstützung der Politik bauen, versicherte Franz Zenker. Er selbst könne sich noch sehr gut daran erinnern, wie in seiner Kindheit und Jugend diese Minderheit diskriminiert wurde. Nun erhielten sie auch von Landkreis Bestätigung und Zuspruch. Simone Riemenschneider-Blatter forderte dazu auf, das Kulturfest zu nutzen, um die Vielfalt und Schönheit der Jenischen Kultur zu entdecken und zu feiern. Eine solche Veranstaltung biete die Gelegenheit, sich kennenzulernen und neue Freundschaften zu schließen.
Auf Ähnlichkeiten insbesondere in ihrer Geschichte wies Romani Rose hin. Der Präsident des Zentralrats der Roma und Sinti nannte die Jenischen Geschwister in der Geschichte, zwei Minderheiten, die im Nationalsozialismus nicht unterschieden wurden. Stigma, Ausgrenzung, Verfolgung, Chancenlosigkeit teilen sich die Sinti und Roma mit den Jenischen seit der frühen Neuzeit, als beide Minderheiten für rechtlos erklärt wurden. Man habe sich untereinander verheiratet, Kultur und Sprache teils gemeinsam entwickelt. Erst das Trauma der NS-Zeit habe zum Auseinanderleben geführt, in den vergangenen Jahren sei aber wieder eine Solidarität entstanden, und die Sinti und Roma werden die Jenischen in ihrer Forderung nach Anerkennung unterstützen. Roses Postulat, „die Würde des Menschen ist unantastbar. Alle, auch die Angehörigen von Minderheiten, sind in ihrer Würde gleich und haben ein Recht auf Gleichbehandlung“, wurde großer Beifall gezollt.
Keine Bürger zweiter Klasse
Unglaubliches mussten die Jenischen in demokratiefernen Zeiten und Diktaturen erleiden. Ihnen wurden die Kinder weggenommen, Robert Domes hat in seinem Roman die erschütternde Geschichte des Ernst Loose unsterblich gemacht. Andere wurden zwangssterilisiert, ihr Leid erst auf Antrag von Petra Pau offiziell anerkannt. Minderheitenschutz werde heute, so Klaus’ Vater, von der Bundesregierung ernst genommen, allerdings vor allem, wenn es um deutsche Minderheiten im Ausland gehe. In den Grenzen des eigenen Landes aber würden Minderheiten ignoriert und vergessen. Ziel muss es sein, „die Realität von Bürgern zweiter Klasse zu beenden“.
Auf ihrem Weg zur Anerkennung haben sich die Jenischen auch an einen Ethnologen gewandt, der sich mit dem Thema Minderheiten beschäftigt. Seine wissenschaftlichen Ergebnisse präsentierte Martti Zeyer, auf Laienniveau heruntergebrochen, im Festsaal des unteren Schlosses. Er erläuterte, dass die Wissenschaft heute den biologisch begründeten Begriff der Ethnien verwerfe und stattdessen kulturelle Gruppenzusammengehörigkeiten als Einheiten sehe. Deshalb seien die Jenischen eine Gruppe, ganz gleich welche biologischen Wurzeln die einzelnen Mitglieder haben mögen, auch wenn ihre Ursprünge und Herkunft wissenschaftlich noch nicht erforscht sind. Sie definierten sich über ihre Sprache, ihr Zusammengehörigkeitsgefühl, ihre Kultur und ihre gemeinsame Geschichte und hätten dadurch eine eigene kulturelle Identität, womit sie die Kriterien einer nationalen Minderheit erfüllen und, so plädierte der Ethnologe, vom Bund anzuerkennen seien.
Viele dieser Faktoren konnten die Besucher des Kulturfestes in einer kleinen Ausstellung kennenlernen, bei der an Wandtafeln Geschichte und Schicksal einzelner Jenischer dargestellt und das Alltagsleben der Minderheit erläutert wurden.
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