„Ein Akteur der Nazis“
Bleibt die Wernher-von-Braun-Straße in Thannhausen oder wird sie umbenannt? Darum geht es unter anderem in der Thannhauser Stadtratssitzung am Dienstag. In Memmingen wird es am Montag eine Aussprache über den Wissenschaftler geben, der dort ebenfalls Namensgeber für eine Straße war. Im Vorfeld beleuchtete ein Historiker die dunklen Seiten im Leben des Raketenforschers. Die Botschaft des Vortrags war eindeutig.
Keine Straße oder Schule in Deutschland sollte länger nach Wernher von Braun benannt sein, meint Dr. Jens-Christian Wagner, Leiter der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora in Thüringen, wo während des Zweiten Weltkriegs die von Wernher von Braun entwickelten Waffen von Häftlingen produziert worden waren. Er beschrieb den deutschen Ingenieur und Raumfahrtforscher vor rund 100 Zuhörern in Memmingen als „Akteur des Nationalsozialismus“, der direkt beteiligt gewesen sei am Tod von KZ-Häftlingen. Veranstalter des Vortrags war der Verein „Gegen Vergessen für Demokratie“. Wernher von Braun sei kein unpolitischer Technokrat gewesen, betonte Jens-Christian Wagner. Er sei zwar mit Sicherheit kein glühender Nationalsozialist gewesen, doch er habe die Nähe der politischen Entscheidungsträger des NS-Regimes gesucht, um die Raketenentwicklung voranzutreiben. „Er war Akteur, nicht Werkzeug“, urteilte der Historiker. „Er arbeitete an der V2, einer Waffe, die eine Wende im Krieg bringen sollte.“ KZ-Häftlinge, die im unterirdischen Raketenwerk Mittelbau-Dora arbeiten sollten, habe von Braun persönlich im KZ Buchenwald ausgesucht. Nach dem Krieg habe von Braun jede Beteiligung an NS-Verbrechen geleugnet.
In den 1960er-Jahren sei von Braun eine „Lichtgestalt im öffentlichen Bewusstsein“ gewesen, da er als technischer Direktor bei der Nasa das Mondflugprogramm Apollo begleitet habe, sagte Wagner. Ein wenig habe man sich gefühlt, als ob Deutschland mit der Mondlandung doch noch den Zweiten Weltkrieg gewonnen habe. „Die Benennung einer Straße ist ein moralisches Urteil, eine Ehrung. Die sollte von Braun nicht zuteil werden.“ Wagner schlug vor, die Straße umzubenennen, jedoch einen Hinweis stehen zu lassen, dass die Straße 40 Jahre lang diesen Namen getragen habe.
Eine Umbenennung hatte ein Memminger Unternehmer mit Firmensitz in dr Straße im vergangenen Jahr angestoßen. „Wir bekommen immer wieder kritische Kundenzuschriften wegen des Straßennamens. An meinem Schreibtisch landen Diskussionen, die sehr unangenehm sind“, erklärte er. 18 Memminger Stadträte hatten im Januar parteiübergreifend einen Antrag auf Umbenennung der Straße gestellt.
In einer regen Diskussion äußerten mehrere Zuhörer nach dem Vortrag ihr Unverständnis, warum Memmingen sich mit einer Umbenennung so schwer tue. Ein Vortragsgast sprach sich für den Straßennamen aus. Verstehendes und lernendes Vergeben sei notwendig, betonte er. Zudem werde durch die Tilgung des Namens auch eine Reibung an dem Thema hinweggespült. „Es sollte auch das gewürdigt werden, was er als Ingenieur geleistet hat“, meinte er. „Haben wir zukünftig nur noch Nelken-, Birken- und Rosenstraßen?“, fragte ein anderer. (mcz/aw)
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