Diesem Klimt dürfen Sie nicht gegenübertreten!
Das Palais Stoclet in Brüssel ist das einzige Weltkulturerbe in privater Hand. Nur Freunde des Hauses dürfen es begehen. Und Fotos gibt es bloß wenige
Augsburg Geld spielte die allerletzte Rolle, als sich der Multi-Unternehmer Adolphe Stoclet Anfang des 20.Jahrhunderts in Brüssel ein Privat-Palais errichten ließ. Denn Geld stand dem Direktor der „Société générale de Belgique“ mit Einnahmen aus Rüstung, Banken, Eisenbahn sowie Bergbau in Belgisch-Kongo ausreichend zur Verfügung. Und auch an Geschmack und Kunstsinn, gebildet durch jahrelangen Aufenthalt in Wien, mangelte es Adolphe Stoclet nicht.
So ließ er sich zwischen 1905 und 1912 das Feinste vom Feinen durch den Wiener Architekten Josef Hoffmann und dessen Wiener Werkstätte entwerfen und errichten – um es dann wie seine Augäpfel zu hüten. Kinder und Kindeskinder folgten ihm in der Überzeugung, alle Neugier der Öffentlichkeit mit aller Macht von dem erlesenen Privatbesitz fernzuhalten – und so stellt das Palais Stoclet heute einen singulären Fall dar: Seit 2009 ist es Unesco-Weltkulturerbe unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
Damit aber bleibt dem gemeinen Auge auch das Wand-Dekor des Speisezimmers verborgen, das der an diesem Samstag vor 150 Jahren geborene Gustav Klimt entworfen hatte und eigenhändig korrigierend erarbeiten ließ. 1910, mitten in der Arbeit an diesem Dekor in Marmor, teilte Fritz Wärndorfer, der Geschäftsführer der Wiener Werkstätten, seinem Auftraggeber Adolphe Stoclet das Folgende mit: „Das Ganze wird so fabelhaft schön, etwas so absolut neues und grandioses, wie es in keiner ägyptischen und keiner romanischen Zeit, einfach nie ausgeführt worden ist.“ Und kurz darauf setzte Wärndorfer noch eins drauf: „…denn es ist noch nie nie nie nie nie nie nie auf der ganzen Welt so etwas gemacht worden.“
Ist die Verschlusssache auf Dauer zu halten?
Das mag schon so sein – nur kann man es, wie gesagt, vor Ort nicht betrachten. In Klimts Jubiläumsjahr sind Originalschauplätze seiner Kunst das Beethovenfries in der Wiener Secession und die Deckengemälde im Wiener Burgtheater – nicht jedoch seine Wandbilder im Palais Stoclet. Durch Erbeneinspruch bleiben sie – mit Ausnahme von wenigen Motiven – selbst als Foto-Dokumentation dem Auge des Kunstfreunds entzogen. Den bestmöglichen Eindruck, die bestmögliche Wiedergabe von Architekturhülle und Innenausstattung des Palais Stoclet – an dem übrigens auch der belgische Symbolist Fernand Khnopff mitwirkte – liefert heute der Bildband „Gustav Klimt – Josef Hoffmann – Pioniere der Moderne“ (Prestel Verlag), aus dem wir auch unsere zwei Fotos entnahmen.
Darf aber ein Kulturerbe der Menschheit versperrt bleiben? Bevor der Stab über der Familie Stoclet gebrochen wird, sollte bedacht werden, dass genau dieser ausgrenzende, geheimniskrämerische, pflegliche Familien-Umgang mit dem Gebäude zu seinem originalen Erhalt in hohem Maße beigetragen hat – und damit auch zur Kulturerbe-Ernennung. Eine Inanspruchnahme als Sehenswürdigkeit und Museum würde sicherlich Abnutzungserscheinungen, wenn nicht Umbaumaßnahmen nach sich ziehen.
Ob die Verschlusssache nun auf Dauer zu halten ist oder ob nicht gerade dieses einzigartige Gesamtkunstwerk in Privatbesitz auch gesellschaftlich verpflichtet, das wird seit Jahren in Belgien diskutiert und vor Gericht behandelt – zumal der Staat den Erhalt des Palais Stoclet finanziell unterstützt.
Klimt selbst fiel einst der Beitrag zur Wanddekoration des Speisezimmers nicht leicht: „Stoclet geht mir nicht von Kopf und Hand ... entweder bin ich zu alt oder zu nervös oder zu ,blöd‘ – etwas wird es schon sein“, befand er 1907. Doch er arbeitete weiter, und letztlich beeinflussten die Planungen für Stoclet entscheidend auch seine Malerei.
Der Schein von Gold, Perlmutt, Glas und bunten Steinen
Zwei seiner berühmtesten Werke, „Adele Bloch-Bauer 1“ (1907) und „Liebespaar (Kuss)“ von 1908 setzen sich zunächst in Öl damit auseinander, was Klimt dann in reinweißen Marmorplatten mit Intarsien für Brüssel realisierte: der Schein beziehungsweise Widerschein von Gold, Silber, Kupfer, Emaille, Perlmutt, Glas und bunten Steinen. Aus dem „Liebespaar (Kuss)“ wurde für eine Wand das „Liebespaar (Erfüllung)“ auf Marmor, das wir nebenstehend groß abbilden; aus Klimts Auseinandersetzung mit altägyptischer Kunst entstand für die gegenüberliegende Wand das (links unten klein abgebildete) Motiv der „Tänzerin (Erwartung)“. Und für die Kopfseite des Speisezimmers entwarf Klimt das nahezu rein-ornamentale Wandbild „Ritter“. Insgesamt sind das 15 Marmortafeln, jeweils sieben für die Längswände des Speisesaals mit einem vegetativen (Baum-)Muster im Hintergrund, und eine Tafel für die Kopfseite.
„Viel mehr Gold hätte die Wand vertragen!“
1914 besichtigte Gustav Klimt das längst fertige Palais Stoclet in der Jugendstil- und Art-Nouveau-Stadt Brüssel. Auf einer Postkarte an seine Lebensgefährtin und Muse Emilie Flöge notierte er: „Das Haus Stoclet ist wirklich sehr schön ... Manches hätte ich anders machen sollen, vieles hätte die Werkstätte besser anders gemacht.“ Viel mehr Gold hätte die Wand vertragen!“ Zum Weltkulturerbe hat es 2009 dennoch gereicht.
Gustav Klimt – Josef Hoffmann Pioniere der Moderne, herausgegeben von Agnes Husslein-Arco und Alfred Weidinger, Prestel, 330 Seiten, zahlreiche Abbildungen in Farbe und Schwarz-Weiß, 39,95 Euro
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