Das Bestaunen der Welt
Fotografien von Cy Twombly im Museum Brandhorst
München Tulpen in der Vase, eine Zitrone auf dem Tisch, Malerpinsel im Atelier, der Blick durch den Flur auf Lichtflecken unterm Fenster: Cy Twombly bestaunt das Naheliegende. Er schaut auf die Welt, die ihn umgibt, auf das Licht, das sichtbar macht. Schaut auf das Geheimnis des Daseins, das er umkreist, ausschnitthaft in den Blick nimmt, in kleinen Serien heraufbeschwört.
Der Verzauberungskasten, mit dem der Maler, Zeichner und Bildhauer dieses Sehen, sein Anschauen und seine Annäherung, festhält und zu Bildern macht, ist eine Sofortbildkamera. Twombly schaltet den Autofokus der Polaroid aus. Er will ja keine realistischen Abbilder. Seine quadratischen Fotos sind unscharf, sie schwimmen, verschwimmen, verrätseln hinter Schleiern, Lichtwolken und Farbnebeln.
Seine Motive – immer wieder Obst, Blumen – findet er im Haus, in der Anhäufung von vertrauten Dingen im Atelier, in Zimmerfluchten oder auf Spaziergängen. Baumkronen; ein Kohlkopf, Akkumulationen von Gläsern auf einem Garagenflohmarkt; Details aus eigenen Gemälden. Oder, ein wunderbares Stillleben aus dem Jahr 2002, die Schuhe des Künstlers – grün-gelblich verkleckerte Pantoffel voller Farbspritzer. Es ist eine Form der Selbstvergewisserung, die einen der bedeutendsten Künstler der Gegenwart augenscheinlich umtreibt. Es geht nicht um Wiedergabe – Cy Twombly erzählt in seinen Fotografien von der Wahrnehmung.
100 Fotoarbeiten sind jetzt in einer intimen und starken Ausstellung im Münchner Museum Brandhorst zu sehen. Jenem Haus, das europaweit den stärksten Bestand von Gemälden des 1928 in Lexington/Virginia geborenen Einzelgängers beherbergt – darunter Schlüsselwerke wie der Lepanto-Zyklus oder die großen Rosen-Bilder. Diese Rosenbilder hat Twombly im Atelier auch in einer Art künstlerischer Selbstbefragung fotografiert, indem er Details, Ausschnitte, Zonen in den Blick nahm. Der direkte Vergleich von Fotos und Leinwänden, den das Museum Brandhorst unter einem Dach ermöglicht, ist ein Glücksfall.
Eine Aura und eine unglaubliche Stofflichkeit
Manches in dieser Lichtmalerei ist überhell, gelbstichig, grünlich. Cy Twomblys stille Fotografien haben eine Aura und eine unglaubliche Stofflichkeit, die sie entrückt vom Gewöhnlichen und wegtreibt vom allgegenwärtigen, nie versiegenden Bilderstrom unserer Gegenwart.
Wer die Serien des Amerikaners an den üblichen Maßstäben technischer Brillanz (Licht, Schärfe, Bildaufbau) misst, der wird Cy Twombly als unzulänglich missverstehen müssen. Und wird übersehen, was diese Fotografie ausmacht: das Suchen (und immer wieder auch Finden!) des Wesenhaften. Es scheint auf hinter der Oberfläche, in einem Lichtreflex, in einer Farbstimmung, als eine Summe von möglichen Bildern und Nachbildern, die der Betrachter aus der Schemenhaftigkeit entziffern kann. Ein offener Prozess, der in der Luftigkeit, Durchlässigkeit und Unbestimmtheit von Twomblys Fotoarbeiten in Gang kommen kann, weil hier nichts versiegelt ist.
Wir sehen Schwebezustände auf diesen Polaroids. Ein Sonnenuntergang bei Twombly ist ein Lichtmeer, ein Farbschleierglühen, ein Weiten des Blicks, der keinen Halt findet an der Oberfläche. Womöglich spürte das auch jener Ausstellungsbesucher, der sich lautstark bei seiner Begleiterin beschwerte: „Wenn man ziemlich einen gezwitschert hat, dann kann man so einen Schmarrn fabrizieren.“
Cy Twombly, der schon in den 1950er Jahren nach Rom, zum Licht des Mittelmeers, ausgewanderte, hat erst sehr spät seine Fotografien öffentlich gezeigt. Dass sie aber genuin zu seinem künstlerischen Schaffen und zu seiner Sprache gehören, beweist die Münchner Ausstellung – es ist die erste, die ausschließlich dem fotografischen Werk gewidmet ist. Bis auf einige frühe Fotos in klassischem Schwarz-Weiß sind alle Bilder in einem speziellen Pigmentverfahren vergrößerte Farbdrucke von Polaroid-Unikaten.
Laufzeit bis 10. Juli. Geöffnet Dienstag bis Sonntag 10–18 Uhr. Katalog in bester Druckqualität erschienen im Verlag Schirmer/Mosel, 58 ¤
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