Biohacking - die große Lust am perfekten Leben
Der neue Trend will Körper, Verstand und Persönlichkeit optimieren. Etwas für Spinner? Nein, nur das Extrem eines neuen Verständnisses von Ich und Sein
Es liegt nahe, sich über eine wie Ariane Sommer zu wundern – oder sich vielleicht sogar lustig zu machen? Die sorgte einst als deutsches Model und Berliner Partygirl für Furore, badete gar in einer Wanne voller Mousse au chocolat und verbuchte Auftritte in Film und Fernsehen, bevor sie, splitternackt für die Tierschutzorganisation Peta posierend, einen Bewusstseinswandel andeutete: Lebt vegetarisch! Und dieser Wandel hat jetzt – im normalen Leben einige Jahre später, aber offensichtlich um keinen einzigen Tag gealtert – zu einer Offenbarung geführt. In einem Essay in der „Welt“ nämlich gab sich Ariane Sommer als Anhängerin des „Biohacking“ zu erkennen, eines „ehemals obskuren Randphänomens“, wie sie schreibt, aus dem „eine derzeit besonders in den USA rasant wachsende Bewegung“ geworden sei, „die Evolution als Selbstoptimierung“ verstehe.
Man muss das etwas ausführlicher zitieren, um Grundzüge und Ausmaße dieser Ich- und Weltanschauung zu verstehen: „Biohackern geht es darum, die bestmögliche Version ihrer selbst zu sein. Biohacking-Pioniere wie Silicon-Valley-Investor Dave Aspery und Bestsellerautor Tim Ferriss propagieren die These, dass wir uns nicht mit dem Körper und dem Gehirn abfinden müssen, mit denen wir geboren wurden, und dass wir unser mentales, physisches und psychisches Potenzial jederzeit maximieren können: unseren IQ erhöhen, produktiver arbeiten, schneller, weiter laufen, unsere Kreativität und Libido steigern, mehr Fett verbrennen, besser und weniger schlafen und insgesamt länger leben.“
Das ist dann ja mal gleich einiges. Aber es bedeutet im täglichen Leben der Ariane Sommer, in diesem Jahr 40 geworden, auch ganz schön viel. Nach rund sechs Stunden Schlaf wird sie zwischen 4 und 4.30 Uhr von einer App in einer dazu optimalen, leichten Schlafphase geweckt. Ihren Kaffee, aufgemotzt mit „einem halben Dutzend ayurvedischer Superfoods“, trinkt sie dann in der Infrarotsauna, samt Meditation und Atemübungen, denn das alles beeinflusse das autonome Nervensystem, führe zur Ausschüttung stimmungshebender Neurotransmitter, erhöhe den Schadstoffausstoß … „Die Belastung meines Körpers durch Schwermetalle etwa ist in den vergangenen drei Monaten um 50 Prozent gesunken“, so Sommer.
Kalte Dusche, Kampfsport und Smoothies
Der Rest in Stichworten: nur kalte Dusche, regelmäßig auch Eisbäder, täglich Yoga, Kampfsport oder Ausdauertraining, Arbeiten am Stehpult („besser für den Lymphfluss“), oft dabei die Kopfhaut unter Strom gesetzt zur Stimulation, dazwischen Smoothies und über den Tag verteilt 30 Gentest-konforme, auf ihre Biochemie abgestimmte Nahrungsergänzungsmittel. Ariane Sommer beschreibt sich als „moderate Biohackerin“, ihre Lebensqualität habe sich jedenfalls enorm gesteigert: „Ich kann heute Dinge tun, für die mir früher die Konzentration und Kraft gefehlt hätten.“ Nun plane sie mit ihrem Mann, ebenfalls ein Biohacker, bereits eine Besteigung des Kilimandscharo.
Und dann, zum Abschluss, stellt sie sich noch selbst der Frage: Was der Sehnsucht nach Selbstoptimierung im Kern zugrunde liegt? „Narzismus, Todesangst, Größenwahn, das Verlangen nach einem gesteigerten Bewusstsein, Selbstbestimmung… – wahrscheinlich ein Cocktail aus all dem.“
Soweit zu Ariane Sommer und dem Trend des Biohackings. Nun aber zurück zum normalen Leben. Denn das eine hat mit dem anderen ja nichts zu tun. Oder? Kennen Sie etwa jemanden, der mit Nahrungsergänzungsmitteln mehr aus seinem Körper, mit Meditation mehr aus seinem Geist, durch Genussmittelverzicht mehr für sein Bewusstsein, durch Disziplin und Sport mehr für seine Gesundheit, durch Schlafeffizienz mehr für seinen Tag herauszuholen versucht? Höchstwahrscheinlich schon. Denn auf dem Markt mit Hilfsmitteln, Kursen und Ratgebern zur Selbstoptimierung geht es allein in Deutschland längst um viele Milliarden. Das Verlangen, mit möglichst viel Kontrolle über das eigene Sein und Empfinden möglichst das Beste für sich herauszuholen, ist ein Zug des Zeitgeistes, der sich aus dem entwickelt hat, was einmal Selbstverwirklichung hieß, aber inzwischen Selbstermächtigung genannt werden könnte. Der Zufall eines Unglücks mag uns jederzeit dazwischenkommen können, aber der Rest liegt nicht in Gottes, sondern in unserer Hand. Zumindest wollen sich immer mehr Menschen nicht vorwerfen müssen, nicht alles in ihrer Macht Stehende dazu geleistet zu haben, um ein möglichst perfektes Leben zu verdienen. Und was alles in unserer Macht steht, das führen uns die immer genauer verfügbaren Daten, das führt uns immer mehr mögliches Wissen vor Augen.
Menschen denken über ihre „Work-Life-Balance“ nach, kennen die Nährstoffe ihres Essens, wünschen sich für ihre Kinder, dass sie nicht nur einen, sondern ihren Platz im Leben finden, ersehnen Erfüllung statt Auskommen, auch in Beziehungen – weil sie von den Verheißungen der Machbarkeit ständig umgeben sind. Auch ein moralisch gutes Gewissen wird von vielen Anbietern in Preisen bemessen. Dazu passend sind die größten Stars unserer Zeit längst keine des Sex, Drugs and Rock’n’Roll mehr. Sondern fitte, engagierte Vorbilder, die Yoga machen, liebevoll über ihre Kinder sprechen und die politischen Missstände dieser Welt anprangern. Es ist das Zeitalter der Richtig-Macher. Gesellschaftlich befördert von individuellen Gesundheitswarnungen und einer mahnenden Verbindung zur Verantwortung vor der Allgemeinheit (die Krankenkassen!). Empfindet es selbst, wer weiter rauchen und einfach Fleisch essen und den Rausch will, nicht längst schon als ein Trotzdem?
Der Erfolg wird gerne in den sozialen Medien verkündet
Das Gelingen beim Fortschritt der Besten wird jedenfalls allzeit in den sozialen Netzwerken (mit-)geteilt. Und Soziologen diagnostizieren bereits, dass sich auch die Arbeitswelt immer weiter in eine Casting-Show verwandelt, in der die Bewerber mit ihrem Optimierungsgrad bemessen werden. Vielleicht ist das nur die konsequente Fortsetzung des Kapitalismus. Zu Beginn sorgte der dafür, dass möglichst viele die gleichen Waren wollten und ging dafür in Massenproduktion. Dann verwandelte er sich den Zug zur Selbstverwirklichung an und versprach durch die Produkte eine reichhaltige Palette der Individualisierung, zum Ausdruck des ganz eigenen Seins. Und nun ist eben der Mensch selbst das Produkt: Seine Daten sind die Ware, seine Formung macht den Umsatz.
Aber ist das alles nun schlimm? Kann das nicht wirklich auch helfen, das Richtige zu befördern und so manches über den Menschen besser zu verstehen? Darüber entscheidet wohl, ob wir zweierlei für das Leben wesentliche Züge nicht vergessen: unsere Freiheit – und das letztlich unvermeidliche Scheitern.
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