Das große Glück
In drei Museen von Augsburg wird das druckgraphische Werk von Albrecht Dürer so gut wie komplett gezeigt.
Augsburg Deutsche Verleger aufgemerkt! Zu den Rätseln eurer Branche gehört, dass die Tagebücher, Schriften und Briefe des so berühmten wie populären Albrecht Dürer (1471–1528) seit Jahren nur antiquarisch erworben werden können. Ist da was dagegen zu machen?
Lesen wir die Schilderungen Dürers von seiner gut einjährigen Niederlande-Reise 1520/21 anlässlich der Krönung von Kaiser Karl V., dann erkennen wir in diesem kulturhistorischen Dokument ersten Ranges nicht nur, wie hoch der altdeutsche Meister seine Kollegen etwa in Antwerpen schätzte (Quentin Massys, Joachim Patinir, Conrat Meit), sondern auch, womit er die Kosten der Reise u.a. beglich: mit den sprudelnden Einnahmen durch Verkäufe seiner begehrten Kupferstiche und Holzschnitte: „Item Sebald Fischer hat mir zu Andorff [Antwerpen] abkauft 16 kleiner Passion [kleine Holzschnitt-Passion] pro 4 Gulden. Mehr 32 großer Bücher pro 8 Gulden [u. a. „Marienleben“]. Mehr 6 gestochene Passion [Kupferstich-Passion] pro 3 Gulden.“
Und so geht es den Pfennig ehrend, akribisch, geschäftstüchtig weiter im Tagebuch. Dürer verkauft gut; der rote Faden seiner Notizen: Einnahmen und Ausgaben. Sein Ruhm speist sich aus den Begierden nach seiner überragenden graphischen Kunst. Und diese begehrte, überragende Graphik zeigen nun – in toto – drei Augsburger Museen für die Bewunderung 500 Jahre später. „Gestochen scharf und fein geschnitten“ – das verspricht der Titel der Schau mit 255 Blättern.
Von der Illustration zum autonomen Kunstwerk
Dabei präsentieren das Schaezlerpalais sowie das Graphische Kabinett der Kunstsammlungen den späteren und meisterlichen Dürer ab 1507, während sich das Diözesanmuseum seinen frühen Jahren bis zur zweiten italienischen Reise 1505/06 widmet. In dieser Aufteilung folgen die Kuratoren den zwei lehrreichen Katalogbänden, die nach exzellentem Brauch Abbildung und Erläuterung jeweils nebeneinanderstellen. Die Trennung in den frühen und in den späten sowie meisterlichen Dürer ist gewiss nicht willkürlich (die Nürnberger Schau heuer legte die Zäsur auf 1504), doch verläuft die Grenze denn doch nicht so hartkantig.
Wer meint, er könne sich den frühen Dürer im Diözesanmuseum sparen, betrügt sich selbst um solch umwerfende Kupferstiche wie „Der Spaziergang“ (siehe Bild oben) sowie „Adam und Eva“ – das (kolorierte) Plakatmotiv. Auch betrügt er sich um den bildlichen Eindruck der künstlerischen Revolution Dürers, die seinen europäischen Ruhm noch vor 1500 begründete: die 15-teilige Holzschnittfolge „Die Apokalypse“, die erstens den entscheidenden Schritt von der reinen Illustration zum autonomen Kunstwerk macht, zweitens die Holzschnitttechnik ganz nahe an die Virtuosität der Kupferstichtechnik führt, drittens mit dafür verantwortlich ist, dass sich Dürer in doppelter Hinsicht als der erste Künstler mit selbstgestaltetem (und monogrammiertem!) Buch im Eigenverlag titulieren konnte. Dies alles ist bahnbrechend.
Im Diözesanmuseum sieht man nun teils brillante Probedrucke dieser Folge – wie überhaupt die ganze Schau nahezu ohne Unterbrechung tiefschwarze, erstklassige, „samtene“ Abzüge vereint. Dafür haben K. und U. Schulz aus Karlsruhe ein halbes Jahrhundert lang privat und beseelt gesammelt. Zum Vergleich: Die Kunstsammlungen Augsburg, obwohl nicht klein, besitzen lediglich zwei Dürer-Graphiken. Eine davon heißt „Das kleine Glück“ („Fortuna“, 1495/96).
Hochverehrter Martin Schongauer
Im Schaezlerpalais starten sodann die späten Jahre mit der Kupferstich-Passion, also mit einer Reminiszenz an den von AD hochverehrten Martin Schongauer (1445/50– 1491), dem Meistervater dieser Technik aus dem frühen 15. Jahrhundert. Überliefert ist, dass Dürer 1492 lernbegierig nach Colmar zur Schongauer’schen Werkstatt reiste. Doch als er ankam, war „Hübsch Martin“ (Dürer) gestorben. Nun also die vom spätgotischen Schongauer beeinflusste Dürer-Kupferstich-Passion in Augsburg: dicht, virtuos, raffiniert, trefflich schattierend gestochen. Ein mitgeführtes Vergrößerungsglas kann genusssteigernde Dienste leisten.
Im Weiteren schreitet der Betrachter dann in aufmerksamkeitsfördernder Stille Blatt für Blatt in weitgehend chronologischer Folge ab – ohne Interaktion, ohne Multimedia, ohne Animation, ohne Erlebnisdesign. Es ziehen an: die großen berühmten Drucke (wie „Ritter, Tod und Teufel“, „Melencolia I“), dazu die Eisenradierungen („Die große Kanone“), die wenig geläufigen sechs Muster-Knoten, die späten Dürer-Lehrbücher zu Fragen von Proportion, Perspektive, Kunsttheorie, Mathematik – bis der letzte Raum erreicht wird, wo Dürers Bezüge zu Augsburg, Kaiser Maximilian I. und seinen Reichstag 1518 illustriert und geschildert werden („Ehrenpforte“, „Triumphwagen“, Holzschnitt „Der Fackeltanz in Augsburg“).
Das Finale der Schau – oder den kostenlosen Appetizer – stellt die Zusammenstellung der späten Porträt-Stiche Dürers, seiner Wappenentwürfe und seiner kunsthistorisch umstrittenen Werke im Graphischen Kabinett dar. Dort ist auch in einer zeitgenössischen (seitenverkehrten) Kopie das einzige bekannte Dürer-Blatt zu sehen, das der Sammlung Schulz fehlt: das Rhinozeros. Die Kopie stammt aus der Augsburger Staats- und Stadtbibliothek. – Eine in dieser Fülle, in dieser Druckqualität, in dieser Katalogbegleitung großartige Schau.
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