Die kleinen Leute und die große Revolution
14. Juli 1789: Eric Vuillard erzählt den Sturm auf die Bastille mitreißend anders
Der 14. Juli 1789 ist ein heißer Tag, die Luft in Paris ist stickig, es gärt. Eine Menge stürmt die Bastille, dieses Gefängnis und trutzburgartige Bollwerk royaler Macht. Es ist der Anfang der Französischen Revolution, ein abgesichertes Schlüsseldatum der Geschichte. Nun kommt ein Schriftsteller und bricht das versiegelte Bild auf, indem er mit einer rasenden, fiebrigen Genauigkeit erzählt, die den unbekannten Akteuren Gerechtigkeit widerfahren lässt.
Wer war diese Menge? Wie sahen sie aus, die Aufständischen? Was waren ihre Namen, ihre Berufe, ihre Träume? Paris, schreibt Eric Vuillard (bekannt durch seinen preisgekrönten Roman „Die Tagesordnung“) „ist eine Masse aus Armen und Beinen, ein Körper voller Augen und Münder, folglich ein Heidenlärm, endloses Selbstgespräch, ewiger Dialog, mit unzähligen Zufällen, dem immer und überall Möglichen; Bäuche, die sich vollschlagen, Passanten, die scheißen und ihr Wasser laufen lassen, rennende Kinder, Blumenverkäuferinnen, tratschende Kaufleute, plackende Handwerker und Erwerbslose ohne Broterwerb. (…) Die Erwerbslosigkeit ist eine strenge Schule. In ihr lernt man, dass man nichts wert ist. Das kann nützlich sein“.
Wie ein Reporter, der durch die Gassen streift, den Gestank nicht scheut und dem Geschrei in den Schenken lauscht, streift Vuillard durch das Paris im Juli 1789 und ruft auf, was nie im Echo der Revolution hörbar wurde. „Gewiss, ein Name ist nicht viel. Ein Beruf, ein Datum, ein Ort, der bescheidene Personenstand, ein Etikett. Das sind die Silben der Wahrheit. Legrand, der Pförtner war; Legros, Hauptmann; Legriou, Uhrmacher; Lesselin, Handarbeiter; Masson, der Nagelschmied; Mercier, der Färber (…) Nuss und Oblisque, die Nichtshaber; sie alle haben tatsächlich existiert und geschuftet und gegessen und getrunken, ganz Paris durchkreuzt – und standen an diesem Tag in Fleisch und Blut vor der Bastille.“
Mit dem, was er in Protokollen und Berichten der Zeit gefunden hat, erzählt Eric Vuillard die Geschichte des 14. Juli 1789 lebensprall und mitreißend neu. Er erdet den französischen Nationalfeiertag und unterlegt ihn mit Namen, Gesichtern – das Buch ist eine Litanei der Details, belebt von erzählerischer Kühnheit. Beschwörend heißt es: „Nach dem Nichts schnappen und sich in den großen Kübel stürzen, voller Namenloser.“
Indem Vuillard akribisch Leichen beschreibt, die nach einem Aufstand gegen einen ausbeuterischen Unternehmer zurückbleiben, webt er Wirklichkeitswucht ins abgeklärte Geschichtsbild. Seine expressive Parteinahme für Helden, deren Heldentum nur Minuten währte und in der Anonymität fortgespült wurde, gibt dem Sturm auf die Bastille einen neuen, faszinierenden Resonanzraum. Meisterhafte literarische Geschichtsschreibung.
Übersetzt von Nicola Denis. Matthes & Seitz, 136 Seiten, 18 Euro
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