Nationales Kulturgut leuchtet für Augsburg und Berlin
Die älteste deutsche Zeichnungs-Sammlung geht aus Privateigentum in öffentlichen Besitz über.
Adel verpflichtet – wenn auch nicht unbedingt zum Erhalt wertvoller kunsthistorischer Güter in Familienbesitz: Die Fugger verkauften 2009 das Ehrenbuch der Familie an die Bayerische Staatsgemäldesammlung. Das Adelshaus Waldburg-Wolfegg aus Baden-Württemberg sorgte 2001 und 2008 ebenfalls mit Veräußerungen für Aufsehen: zunächst eine Landkarte des Freiburger Kartografen Martin Waldseemüller, auf der erstmals der Name „America“ erwähnt ist, nach Washington. Dann wurde das mittelalterliche Hausbuch der Familie an einen unbekannten süddeutschen Privatsammler verkauft. Es ist damit für die Öffentlichkeit praktisch verloren.
Eben diese Waldburg-Wolfegg haben sich nun erneut von einem hochrangigen privaten Kunstschatz getrennt. Diesmal aber geht er an zwei öffentliche deutsche Kultureinrichtungen: die Staatlichen Museen Berlin und die Städtischen Kunstsammlungen Augsburg. Es handelt sich um eine Sammlung von über 120 Zeichnungen, die zwischen 1430 und 1620 entstanden. Zusammengefasst wurde dieser sogenannte „Kleine Klebeband“ zwischen 1650 und 1670 und gilt damit als die älteste private Zeichnungssammlung in Deutschland. Schon deshalb wird sie von Kunsthistorikern als äußerst bedeutend eingeschätzt.
Für Augsburg sind die vorwiegend altdeutschen, aber auch italienischen und niederländischen Meisterzeichnungen aus einem weiteren Grund wertvoll: „Etwa ein Drittel stammt aus dem Umfeld von Hans Holbein dem Älteren, der 1465 in Augsburg geboren wurde“, erläutert Christof Trepesch, Chef der Städtischen Kunstsammlungen Augsburg.
Das „Bildnis einer Nonne“ aus der Augsburger Familie Vetter – eine Silberstift-Zeichnung – wird Holbein selbst zugeschrieben. Der Bezug zu Augsburg ist direkt: Das dazugehörige Ölbild hängt in der Katharinenkirche, der Augsburger Dependance der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen. Auch eine Gewandstudie Holbeins, die die „Heilige Thekla“ darstellt, findet sich in ihrer endgültigen Ausführung in Augsburg: Sie ist die zentrale Figur in der Basilikatafel St. Paul, die um 1503 entstand.
Eine der prächtigsten Zeichnungen aus dem „Klebeband“ ist das Bildnis eines jungen Mannes, das nach 1475 entstand – in einer Zeit, in der sich die Zeichnung auch als eigenständige Bildgattung etablierte. Kunsthistorikern ist es zwar seit über hundert Jahren bekannt. Dennoch ist es bisher nicht gelungen, den jungen Mann auf der Zeichnung zu identifizieren. Weitere Blätter stammen von Sebald Beham (Nürnberg), Urs Graf d.Ä. (Solothurn), aus den Umkreisen von Martin Schongauer und Albrecht Altdorfer.
Bislang ist der „Kleine Klebeband“ so gut wie unerforscht. Es gibt weder Erkenntnisse über das Prinzip, das hinter der Anordnung der Zeichnungen steckt, noch sind alle Meister bekannt. Aufschluss erhoffen sich die Kunsthistoriker auch über die Arbeitsweise der Werkstätten damaliger Meister. „Die Zeichnungen näher zu erforschen, wird mindestens zwei bis drei Jahre dauern“, schätzt Trepesch.
Die wissenschaftliche Erschließung wird in enger Absprache zwischen Augsburg und Berlin geschehen. Der Band allerdings – er zählt zum nationalen Kulturgut – wird als Ganzes erhalten und nicht zwischen den beiden Museen aufgeteilt. In Augsburg wird er erstmals Ende November ausgestellt: in dem vor Kurzem eröffneten Graphischen Kabinett, das die Kunstsammlungen mit dem Neuerwerb stärker in den Mittelpunkt rücken wollen. Damit die Bürger möglichst viel vom „Kleinen Klebeband“ zu Gesicht bekommen, wird jeden Tag umgeblättert. Aufbewahrt wird die Sammlung auf lange Sicht in Berlin. „Dort sind die konservatorischen Bedingungen besser als in Augsburg“, sagt Trepesch.
Konzertierte Kaufaktion
Dass es gelang, die Sammlung für die beiden Museen aufzukaufen, ist mit ein Verdienst der Städtischen Kunstsammlungen Augsburg: Der Münchner Kunsthändler Bruce Livie bot ihnen die Sammlung im April 2010 an. Weil die Summe von drei Millionen Euro im Alleingang nicht zu stemmen war, machte sich die Stadt auf die Suche nach weiteren Geldgebern. Die Kulturstiftung der Länder, die Rudolf-August-Oetker-Stiftung, die Ernst-von-Siemens-Kunststiftung, der Freistaat Bayern und die Stiftung Preußischer Kulturbesitz beteiligten sich. Erst vor Kurzem wurde der Kauf perfekt gemacht. Über den finanziellen Anteil der Stadt schweigen sich die Augsburger aus.
Die Staatlichen Museen zu Berlin bezeichnen den Ankauf als „den bedeutendsten des Berliner Kupferstichkabinetts in neuer Zeit“; gleichzustellen lediglich mit dem Erwerb des Lebensalter-Zyklus von Caspar David Friedrich, auch dieser übrigens aus dem Besitz Waldburg-Wolfegg. Aufgrund des Entstehungsraumes eines Großteils der Zeichnungen und aufgrund des Sammlungskontextes sei ein Ankauf durch Augsburg und Berlin eine nahestehende Lösung gewesen.
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