Mark Zuckerbergs größte Feindin heißt Shoshana Zuboff
Eine der wichtigsten Wirtschafts-Denkerinnen schlägt Alarm: Der „Überwachungskapitalismus“ dominiere unser Leben und unsere Gesellschaften.
Die Bilder, die sie findet für das, was Facebook und Google in der ganzen Welt mit unseren Gesellschaften und im Leben der Einzelnen anrichten, könnten wuchtiger nicht sein. Aber Shoshana Zuboff nimmt diese Bilder nicht irgendwie symbolisch zugespitzt – sondern als knallharte Befunde, durch jahrzehntelange Forschung gestützt. Mitten hinein in die aktuellen Debatten über Regulierungen der Branche schrillt das Buch „Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus“, in dem sie diese serviert, wie der ultimative Alarm. Denn da steht:
1. Wir stehen diesen Digitalunternehmen gegenüber wie dereinst die Ureinwohner Südamerikas den spanischen Eroberern – was uns da entgegentritt, ist so anders, neu und unbegreiflich, dass wir dem nichts entgegenzusetzen haben. Das verheerende Ergebnis im historischen Vergleichsfall ist bekannt.
2. So wie wir heute sehen, dass der Industriekapitalismus mit seiner die Ressourcen der Erde verbrauchenden Massenproduktion zur Zerstörung des Planeten als Lebensgrundlage des Menschen führt – genauso zerstörerisch wird der „Überwachungskapitalismus“ für seine Ressource sein, den Menschen selbst, seine innere Natur.
3. Die Demokratie wird nicht einfach nur ausgehöhlt durch die Beförderung gesellschaftlicher Spaltungen – sondern Facebook und Google führen zur „Auslöschung von Politik“. Es ist der Sturz in die Tyrannei durch die Herrschaft des „instrumentären Schwarms“ …
Schon in den 80er Jahren warnte Zuboff eindringlich
Bevor man nun versteht, wie sie dazu kommt und was das genau bedeutet, muss man wissen, dass diese Shoshana Zuboff nicht irgendeine linksbewegte Geisteswissenschaftlerin in der Sorge um das Menschenbild der Aufklärung ist. Die heute 67-Jährige war bis zu ihrer Emeritierung Wirtschaftsprofessorin in Harvard, an der dortigen Business School, und galt seit Jahrzehnten bereits als eine der einflussreichsten und visionärsten ihrer Zunft. Nicht zuletzt, weil sie bereits vor 30 Jahren, also 1988 (!), mit „In the Age of the Smart Machine“ wesentliche Entwicklungen des kommenden Digitalzeitalters beschrieb. Das macht ihre jetzige kritische Analyse umso glaubwürdiger. Und dieser Ansatz wiederum macht sie bereits seit einigen Jahren zu so etwas wie der größten Feindin von Facebook-Chef Mark Zuckerberg etwa.
Vor allem in den USA, aber auch durch Essays für die FAZ in Deutschland (vermittelt durch deren Mitherausgeber, ihren Freund, den inzwischen gestorbenen Frank Schirrmacher): Immer wieder warnte Shoshana Zuboff davor, den Beschwichtigungen und dem vermeintlichen Einsehen der Digital-Potentaten auf den Leim zu gehen. Weil deren Kalkül immer geblieben sei, so viel Zeit wie möglich herauszuschinden, um währenddessen ihre Infrastrukturen immer weiter und praktisch unumkehrbarer ins Mark von Einzelnen und Gesellschaft getrieben zu haben. Ihr neues Buch nun ist die Gesamtschau dieses Prozesses – mit verheerendem Fazit. Und einem Aufruf zum Widerstand an Politik und Bürger.
Durch die Vermarktung der Plattformen entstehen zig Milliarden
Von zentraler Bedeutung für Zuboffs Analyse ist, inwiefern mit Google und Facebook nicht einfach nur eine neue Spielart des Kapitalismus auf die Bühne der Weltwirtschaft getreten ist – sondern etwas wesentlich Neues, das sie „Überwachungskapitalismus“ nennt. Dazu gehört etwa, dass nicht mehr wie beim Ford’schen Prinzip der Unternehmer seine Angestellten mit ordentlichen Löhnen zum Kunde-Sein befähigt. Das Wirtschaften ist entkoppelt: Ausgewertet werden die kostenlos von den Nutzern zur Verfügung gestellten Daten über ihr Verhalten; dadurch wird nicht nur möglich, die Menschen zu überwachen, ihr Verhalten vorherzusagen und zu beeinflussen – sondern allein schon durch die direkte Vermarktung auf den Plattformen entstehen Einnahmen von Abermilliarden (bei Google und Facebook landen rund drei Viertel der weltweiten Online-Werbeerlöse).
Und die Konzentration des Reichtums erreicht in der Folge neue Höchststände. Denn Angestellte und Bürger als Kunden brauchen diese Weltkonzerne vergleichsweise nur sehr wenige. Dafür sind sie bei den Datennutzern umso wahlloser. Denn das Ideal der „Plattformneutralität“ bedeutet zweierlei Verheerendes. Erstens ist per Definition gut und wertvoll für die Plattform, was immer für viele Klicks, für viel Verkehr sorgt – und sei es Hetzerisches (ein Gegensatz etwa, so Zuboff, zum Qualitätsjournalismus). Zweitens darf im Grunde inserieren und damit die Daten nutzen, wer immer dafür bezahlt – und so trugen die Annoncen von betrügerischen Immobilien-Kredithaien zur Weltwirtschaftskrise von 2008 bei. Aber das sind Details.
Für Zuboff handelt es sich um "Raubritter"
Die Folgen im Großen, so Zuboff: Der „Überwachungskapitalismus“ konzentriert Wissen und Macht auf eine Art, die „am besten als Putsch von oben zu verstehen ist – als Sturz der Volkssouveränität“. Aber die Überwachungskapitalisten erobern durch die maschinelle Manipulation von Markt und Kommunikation für Marktziele eben nicht nur die Gesellschaften. Zuboff an Zuckerberg und andere „Raubritter“: „Diese globale Implementierung instrumentärer Macht überwindet und ersetzt die Innerlichkeit des Menschen, die sowohl den Willen zum Wollen als auch unsere Stimme in der ersten Person nährt. Damit trägt sie dazu bei, dass die Demokratie schon an der Wurzel verkümmert.“
Drum Zuboff an alle: „Seid Sand im Getriebe!“ Und: „Es ist jetzt an uns!“ Denn sie hofft: „Als man die Natur eroberte, waren die Opfer stumm; die, die nun unser menschliches Wesen zu erobern versuchen, werden nun feststellen, dass ihre Opfer sehr stimmgewaltig sind …“
Shoshana Zuboff: Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus. Aus dem Englischen von Bernhard Schmid, Campus-Verlag, 727 S., 29,95 €
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