Nolde, der Herausforderer
DebatteII Er gehört zu den großen Malern des Expressionismus, doch er war auch in den Nationalsozialismus verstrickt. Das nötigt dem Betrachter seiner Bilder einiges ab
Die Kunst und die Moral der Künstler: ein weites Feld. Lässt sich überhaupt das eine strikt vom anderen trennen, strahlt die künstlerische Leistung auch dann noch unbeschattet hell, wenn ihr Schöpfer im Leben fehlging? Oder färbt da etwas ab, kann das Verhalten des Künstlers sein Werk kontaminieren? Fragen, die stets aufs Neue Anlass zu Kontroversen geben. Im aktuellen Fall – in einem von mehreren, wenn man auf dieser Seite nach oben blickt – fordern Emil Nolde und seine Malerei Antworten ein.
Die Debatte entzündete sich, als letzte Woche bekannt wurde, dass im Bundeskanzleramt zwei Nolde-Gemälde abgehängt wurden, die dort seit langem ihr Zuhause hatten. Beides Leihgaben der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, und die forderte eines der Bilder temporär für eine Ausstellung zurück, was dann gleich zur definitiven Rückgabe beider Werke führte. Eine offizielle Begründung für diesen klaren Schnitt gab es nicht. Doch die zeitliche Übereinstimmung mit der am Freitag in Berlin eröffnenden Ausstellung unter dem Titel „Emil Nolde – Eine deutsche Legende. Der Künstler im Nationalsozialismus“ ist offensichtlich. Nolde und die Nazis, dieser Komplex sollte nicht ohne Not mit der Kanzlerin in Verbindung gebracht werden.
Denn die Verstrickung Noldes (1867–1956) in den Nationalsozialismus, das ist tatsächlich eine problembehaftete Geschichte, mindestens. Einerseits hingen seine Bilder 1937 in der Feme-Ausstellung „Entartete Kunst“, und 1941 erhielt er Berufsverbot. Das hinderte den Künstler freilich nicht, weiterhin seine seit langem gehegte Sympathie für die antisemitische und rassistische Ideologie der Nationalsozialisten zu pflegen. Nach dem Krieg hingegen stilisierte Nolde sich als Opfer der Nazis, und dass diese Sicht sich weit verbreitete, lag nicht zum wenigsten an Siegfried Lenz’ Roman „Deutschstunde“, deren moralisch integere Künstlerfigur Max Ludwig Nansen als Schlüsselporträt Noldes gelesen wurde.
Die im Hamburger Bahnhof in Berlin eröffnende Ausstellung will nun zeigen, dass diese Sicht beschönigend ist. Christian Rings, Direktor der Nolde Stiftung in Seebüll und maßgeblich mitbeteiligt an den Grundlagen der Schau, hat die zentrale Erkenntnis der neueren Nolde-Forschung in einem dpa-Interview so formuliert: „Ein ganz wichtiger Aspekt ist, dass dieser Mythos einfach nicht stimmt, nach dem Nolde sich irgendwann von den Nationalsozialisten abwendet.“
Was aber bedeutet das für den Blick auf Noldes Gemälde, diese Bilder voll rot leuchtendem Mohn, schäumender Wellen und lastender Wolkenzüge? Diese Ikonen des deutschen Expressionismus, deren künstlerische Klasse außer Frage steht? Hinschauen oder sich abwenden? Um noch einmal Stiftungsdirektor Rings zu zitieren: „Das muss jeder für sich selbst analysieren und bewerten.“ Recht hat er: Abgenommen bekommt der mündige Betrachter die Entscheidung nicht. Jeder muss für sich selbst den Abgleich zwischen An- und Abgestoßensein vornehmen, womöglich mit dem Ergebnis, im ständigen Wechselbad der Empfindungen den Bildern Noldes zu begegnen. Reiner Genuss jedenfalls ist bei diesem Künstler nicht mehr zu haben.
Im Berliner Kanzleramt hat man sich für eine eindeutige Haltung entschieden: Weg mit Nolde! Unter politischen Aspekten ist das womöglich klug, auch wenn Angela Merkels Vorgänger es anders gesehen haben. Helmut Schmidt hatte im (Bonner) Kanzleramt sogar zu einer Ausstellung mit Bildern des von ihm hochgeschätzten Nolde geladen. Doch seither ist die Sensibilität gewachsen, wo es um das Verhältnis von Kunst und Moral geht. Ob eines Tages die Kanzlerin von den Bayreuther Festspielen fernbleiben wird, weil Wagner doch so unbestreitbar eifrig dem Antisemitismus das Wort geredet hat?
Erst einmal bleibt Angela Merkel bei der bildenden Kunst. Am Dienstag wurde bekannt, dass die Kanzlerin entschieden hat, überhaupt kein weiteres Bild von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz zu entleihen.
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