Gerade hat Sasa Stanisic den Deutschen Buchpreis erhalten, da attackiert er den Nobelpreis-Träger im Namen der Wahrheit: Das Problem mit Politik in der Literatur.
Der alte Platon hätte die Dichter ja am liebsten aus dem Staat verbannt. Weil sie das Gefühl und nicht den Verstand ansprächen, könnten sie demoralisierend und politisch gefährlich werden – außer sie sängen Hymnen auf die wirklich guten Menschen, die richtigen Helden, die wahren Ideale.
Aktuell werden die sich darin verbergenden Probleme mal wieder sichtbar. 1. Was aber ist das Gute, Richtige und Wahre, wer bestimmt das? 2. Wie frei ist der Künstler gegenüber der Gesellschaft und der Geschichte – in seinem Schaffen und als Person?
Dabei scheint zunächst ja alles ziemlich eindeutig. Da ist der kürzlich für den Literaturnobelpreis erkorene Peter Handke, der zeitweise durch sehr eigentümliche, pro-serbische Ansichten über den Balkankrieg aufgefallen ist. Und da ist nun der Sieger des Deutschen Buchpreises, Sasa Stanisic, der als gebürtiger Bosnier dessen Ehrung hart kritisiert, weil jener gerade das, wovor er mit seiner Familie flüchten musste, leugne. Und die historische Faktenlage gibt ihm ja recht.
Wo beginnt Politik? Wo endet Literatur?
Aber interessant: Stanisic wurde mit „Herkunft“ ja für ein Werk ausgezeichnet, bei dem das tatsächlich Persönliche vor dem Hintergrund des wirklichen Politischen verhandelt wird; Handke dagegen wurde betont abseits aller Politik ausgezeichnet, als Künstler um der Kunst willen, für seine Erfahrungsarbeit, sein Wahrheitsforschen mit der Sprache – und währenddessen wiederum stand ihm als Co-Ausgezeichnete Olga Tokarczuk zur Seite, eine sich immer wieder dezidiert politisch äußernde Polin direkt vor den Wahlen im Land.
Wo beginnt das Literarische, wo endet das Politische? Wann spricht der Bürger, wann die Person? Ist das zu trennen und ist das wichtig?
Wenn man mal die literarisch-politischen Debatten in Deutschland der vergangenen Jahre ansieht: Der Autor Uwe Tellkamp, der auf Podien die Wut der Menschen im Osten verteidigt und sich den Vorwurf des AfD-Verstehers einhandelt; Takis Würger, der in „Stella“ die NS-Schrecken in einer Liebesgeschichte verarbeitete und als Holocaust-Kitsch gegeißelt wurde. Und im Kino derzeit läuft eine Verfilmung von Siegfried Lenz’ „Deutschstunde“, immer schon ein Aufreger wegen der beschönigten Geschichte des mit den Nazis kollaborierenden Malers Emil Nolde – und auch diesmal wieder eher ein peinliches Auslassen.
Nicht nur gute Menschen schreiben gute Bücher
Oder zu erinnern an Günter Grass, der kurz vor seinem Tod noch eine explizit politische Mahnung an Israel aussprach – aber es doch als Gedicht tat. Und dann war da noch Martin Walser, dessen Rede über die Instrumentalisierung von Auschwitz skandalisiert wurde. Übrigens beim Friedenspreis, die der Schriftsteller für sein gesellschaftliches Wirken bekam.
Wie das alles ordnen? Die Antwort muss gegen Platon lauten: gewiss mit keiner gesellschaftlichen Verpflichtung aufs Gute, Richtige, Wahre! Und mit keiner Trennung zwischen Kunst und Wirklichkeit! Denn die Literatur kann gerade zur Befragung dessen dienen, was als wirklich und als richtig gilt. Sie kann ein Medium der Selbstvergewisserung sein und der Vergegenwärtigung von Geschichte. Aber sie muss das nicht sein. Es gehört zu ihrem Wesen, ihrer Freiheit, dass sie sich nicht festlegen lässt.
Politiker brauchen engagierte Künstler wie Tokarczuk, Menschen brauchen unzeitgemäße wie Handke – Gesellschaft entsteht in der Debatte über beides. Das heißt: Stanisic hat mit seiner Kritik recht – dennoch ist die Auszeichnung Handkes richtig. Und diese Doppelgesichtigkeit macht Literatur nicht gefährlich, sondern unersetzlich. Dazu gehört auch: Schlechte Menschen können großartige Bücher schreiben, gute schreiben nicht unbedingt die besseren.
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"Schlechte Menschen können großartige Bücher schreiben" - Wenn man so den Nobelpreis für Handke rechtfertigt, also für einen Genozidleugner, dann frage ich mich, warum man so verbittert um den Namen des ehemaligen Wernher-von-Braun-Gymnasiums gestritten hat, schließlich glit ja dann auch, dieser Logik folgend, dass schlechte Menschen dennoch großartige Wissenschaftler sein können. In der FR steht ein guter Artikel zu Handke in den 90igern und wer das durch hat, sollte der Überzeugung sein, dass so jemand keinen Nobelpreis bekommen sollte, künstlerisches Schaffen hin oder her.