Glänzende Vorstellung bei "Lucia di Lammermoor"
In Donizettis Oper "Lucia di Lammermoor" glänzt Sophia Brommer als Braut mit bravouröser Mitgift. Von Stefan Dosch
"Pietà" raunt der Chor in der "Wahnsinnsszene" von "Lucia di Lammermoor", "Erbarmen" für die Heldin: Vom Standpunkt der umstehenden Personen, die der offensichtlich irregewordenen Lucia ansichtig werden, ein verständliches Ersuchen.{absatzt}
Das Publikum im Theater Augsburg, das dieselbe Szene in der Neuinszenierung von Gaetano Donizettis Oper sehend und vor allem hörend mitverfolgte, hatte da ganz andere Empfindungen. Was man der Sopranistin Sophia Brommer am Ende dieses Wahnsinns-Ariengebirges zurufen mochte - und was tatsächlich aus vielen Kehlen erschallte -, war nur eines: Bravo!
Der finale Auftritt der Lucia ist für Sängerinnen eine der berühmtesten, berüchtigtsten Strecken im italienischen Fach. Große Namen haben hier Marken gesetzt, die Callas vorneweg. Sophia Brommer steht das Rüstzeug für diesen Parforceritt zweifelsfrei zur Verfügung. Ihr Organ verfügt über hinreichend belastbaren Sitz, um weite Intervallsprünge sicher zu bewältigen, glasklare Trillerlinien in höchster Lage zu ziehen und freiliegende Spitzentöne zielgenau zu setzen. Über den gesamten Tonumfang hinweg bleibt ihre Stimme homogen, ist noch in großer Höhe fähig zu kontinuierlichem Abschwellen und fülligen Pianissimi. Sophia Brommer gelingt auch der Spagat, Lucias Gefühlsdurcheinander in reichen vokalen Farben schillern zu lassen - und bei aller Emphase doch die vokale Kultiviertheit zu ihrem Recht kommen zu lassen. Mit dieser Darbietung empfiehlt sich die junge Sopranistin, die hie und da womöglich noch zulegen kann, fraglos für weitere Großaufgaben in Augsburg.
Nicht nur in der Musik vollzieht sich Lucias Drama, auch auf der Szene. In Yona Kims Inszenierung ist diese junge Adelige ein pulsierendes Herz in einer erstarrten Männergesellschaft. Frauen, so will es die Regel, sind hier für die Zwecke der Männer zurechtgerüstet, wie höchst offensichtlich Lucias Zofe Alisa zeigt, die eingezwängt ist in strenges Korsett und Mühlsteinkragen - und deren Dekolleté doch so tief eingeschnitten ist (aufschlussreich im Kostümentwurf: Nadine Grellinger). Eng und begrenzt auch der Raum für alles Handeln: ein quadratisches Holzpodest, auf dem Lucias Bruder und Schlossherr Enrico mit seinen Komplizen agiert, während unter den hölzernen Brettern eine Blutlache schwimmt (Bühne: Etienne Pluss). Lucia vermag es zumindest zeitweise, diese Zone zu verlassen. Dann klappt, wie in der Auftrittsszene, das Podest nach oben - beim letzten Mal, nach Lucias Mördertat am ungeliebten Ehemann, begräbt es sie unter sich. Womit die von Männern dominierte Ebene wieder im Lot ist.
Der Herrscher
ist zu kurz geraten
Neben ihrem großen Thema - der männlichen Instrumentalisierung der Frau - nimmt Yona Kim die Nebenfiguren scharf in den Blick. Normanno etwa, der Büttel Enricos, hat selbst so manches Gelüst auf den Herrscherstuhl. An Sinn für das Herausarbeiten, fallweise auch Ironisieren von Details mangelt es der Inszenierung nicht. Der besagte Stuhl etwa ist viel zu hoch für den tief innerlich doch recht kleinen Enrico, der deshalb zur Machtsicherung seine Schwester zwangsverheiraten muss. Dass Yona Kims szenische Einrichtung gleichwohl etwas kühl aufgenommen wurde, mag daran liegen, dass Lucias Drama letztlich doch nicht nahe genug an ein konkretes Hier und Heute heranrückt.
Dafür ist die Produktion ein Sängerfest, nicht nur hinsichtlich der Titelfigur, auch wegen der Männerpartien. Seung-Gi Jung stellt seinen klangschönen und doch so zupackenden Bariton ganz in den Dienst des aufbrausenden Charakters von Enrico. Dessen Feind und Lucia-Geliebter Edgardo erhält durch den höhenfesten Ji-Woon Kim heldisch-tenorale Impulsivität, aber auch lyrische Innerlichkeit. Solide die Comprimarii Raimondo (Per Bach Nissen), Normanno (Roman Payer) und Arturo (Seung-Hyun Kim), eindrucksvoll statuarisch die Alisa von Stephanie Hampl.
Dass Donizettis Belcanto-Panorama nicht zur ermüdenden Sängerprozedur wurde, sondern dramatische Schlagkraft entfaltete, lag wesentlich an Dirigent Kevin John Edusei, der die Szenenschlüsse durch Anziehen des Tempos stets neu zu entflammen wusste. Dazu passte das kernige, kurz artikulierte Spiel des Philharmonischen Orchesters, das auch solistisch (Harfe, Flöte) glänzte. Souverän die Chöre von Karl Andreas Mehling.
Und die Nackten, das Voraus-Aufregerchen? Eine Handvoll entkleideter Frauen, die in Netzen nach oben gezogen werden. Diese Augsburger "Lucia" hat dann doch etwas mehr zu bieten. Stefan Dosch
Wieder am 18. und 22. April
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