Nach Protesten wegen Missbrauchsvorwürfen hat der US-Verlag die Autobiografie aus dem Programm gekippt. Zu Unrecht, findet unsere Autorin Lea Thies.
Sexueller Missbrauch ist kein Kavaliersdelikt. Es ist eine Straftat. Ob jemand eine solche Straftat begangen hat, darüber zu urteilen ist allein Aufgabe von Gerichten – und nicht des Volkes, auch nicht aufgebrachter Autoren oder Familienangehöriger. Solange eine Richterin oder ein Richter kein Urteil gefällt hat, gilt in den USA wie auch in Deutschland die Unschuldsvermutung. Das ist ein wichtiger rechtlicher Grundsatz, durch den Menschen nicht vorschnell verurteilt oder an den Pranger gestellt werden sollen. Es ist erstaunlich, dass dieser Grundsatz für Woody Allen anscheinend nicht gilt. Und es ist beängstigend zu sehen, wie im Internet aus Meinungen Tatsachen werden und Verurteilungen in 280 Zeichen Länge getwittert werden.
Fall Woody Allen: Hoffentlich bleibt Rowohlt standhaft
Ich erlaube mir kein Urteil über den Fall, und es tut hier, ganz nebenbei, auch nichts zur Sache, ob ich Allen oder seiner Adoptivtochter Dylan glaube. Aber ich habe eine Meinung zum Rückzieher des Hachette-Verlages: Es ist falsch, Allens Autobiografie nun doch nicht zu veröffentlichen. Im Gegensatz zu anderen Verlagen hatte Hachette keine Bedenken gehabt, das Buchprojekt mit Allen anzugehen. Dabei muss den Verlagsexperten bei all den Dollarzeichen in den Augen doch bei Vertragsabschluss schon klar gewesen sein, dass durch die Veröffentlichung der Memoiren die fast 30 Jahre alten Missbrauchsvorwürfe wieder hochkochen werden, erst recht in Zeiten von Social Media. Dass der Verlag nun angesichts der Proteste einknickt, ist so unsouverän wie unprofessionell. Hoffentlich bleibt Rowohlt in Deutschland standhaft.
Es ist bizarr: In Zeiten, in denen Hinz und Kunz sich online äußern, setzen sich Autoren und Verlagsleute dafür ein, dass ein (nicht verurteilter) Autor mundtot gemacht wird. Das ist umso erstaunlicher, als dass sie als Profiteure der Meinungsfreiheit tausenden anderen nicht die Freiheit ermöglichen wollen, sich eine eigene Meinung zu bilden und gar der Protestmöglichkeit berauben, das Buch ganz einfach nicht zu kaufen.
Lesen Sie auch den Kontra-Kommentar von Maria Heinrich.
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