Sechs Vorhänge für eine Traviata
Peter Konwitschnys entschlackte, soghafte Verdi-Inszenierung
Nürnberg Nürnbergs neue „Traviata“ ist die wohl kürzeste in der 159-jährigen Geschichte des dreiaktigen „Melodramma“. Keine Sektpausen, kein Ballett, ein stringenter Dirigent, der nicht Szenenapplaus provoziert: macht summa summarum eine Stunde 50. In mehrerlei Hinsicht entschieden entschlackt, reißt die Aufführung das Publikum in einen Strudel, hin zu einem Endspiel-Spielende, wo Tod und Liebe in eins fallen. Aber auch diese Violetta muss für sich allein sterben, oben auf der schwarzen Bühne. Im Parkett verzweifeln darüber Alfredo und sein Vater, die Zofe Annina und Doktor Grenvil. Und der Zuschauer im erleuchteten Raum wird noch einmal daran erinnert: Auch eine Prostituierte ist ein Mensch.
Mit diesem Appell – ein Appell gewiss im Sinne des Humanisten Verdi – ist Peter Konwitschnys Inszenierung, eine europäische CoProduktion, die zuerst an der Oper Graz gezeigt worden war und noch zur „English National Opera London“ weiterwandert, im Staatstheater Nürnberg angekommen. Manch Gutes hatte man von ihr gehört.
Ein Bücherwurm in Strickjacke
Indem Konwitschny, der soeben als Hausregisseur der Oper Leipzig links liegen gelassen und somit im Grunde hinausgedrängt worden ist, die anscheinend obligate Luxus-Abendgesellschaft-Verpackung der „Traviata“ drastisch reduziert (Hauptrequisit: ein Stuhl), legt er die Individual-Tragödie von Violetta/Alfredo als Kern des Werkes frei. Selten erlebt man ihre Duette, ihr Verlangen, ihre Verzweiflung so unmittelbar und intensiv.
Dabei kann Konwitschny in Teilen durchaus unterstellt werden, er habe das Stück überinterpretiert. Alfredo etwa erhält von ihm das Profil eines bebrillten, etwas linkischen Bücherwurms in Strickjacke, und Vater Germont führt als Anschauungsmaterial für seine harsche Forderung, Violetta habe sich umgehend von Alfredo zu trennen, seine kleine Tochter im Grundschulalter vor. Ein wenig verwundert reibt man sich da dann doch die Augen über einen vergeistigten Literaten, der so extrovertiert-feurig singen kann und dann über den sehr, sehr weit vorausschauenden Vater Germont, der die kommende Heirat seiner Tochter in die Debatte wirft.
Aber dies sind Marginalien im Sog eines letztlich schlüssigen Abends, der unverbrämt von einem Konflikt zwischen außerordentlichem Glück und gesellschaftlicher Konvention berichtet. Durchgehend metaphorischen Gehalt zeigen dabei die sechs wie Bühnenprospekte gestaffelten roten Samtvorhänge, zwischen denen sich das Unglück ereignet. Sie sind gleichsam Verhüllungen und Dekorationen eines falschen Society- und Theaterspiels, durch die zum wahren Leben vorzustoßen ist, die auch zu zerreißen sind (Ausstattung: Johannes Leiacker).
Musikalisch hat der Abend seine Meriten vor allem im Vokalen: Hrachuhí Bassénz als Violetta, Fulvio Oberto als Alfredo und Mikolaj Zalasinski als Germont verstehen – bei jeweils kleineren Unregelmäßigkeiten –, sich seelisch mitreißend zu entäußern. Das vor allem zählt. Generalmusikdirektor Marcus Bosch nahm vor der Staatsphilharmonie Nürnberg mit auffallend seidigen Violinen und auffallend sämigen Celli das Endspiel-Konzept Konwitschnys zielgerichtet auf. Wenn auch manches hätte schlagkräftiger erklingen können: Das Prinzip des in der Sanduhr anfangs scheinbar langsam rieselnden, am Schluss aber scheinbar rasend rutschenden Sandes wurde wirkungsvoll eingesetzt.
Nächste Aufführungen 31.Januar, 4., 13.Februar, 7. März, 29. April
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