Warum nur diese ganze Kunst?
Das Museum Ulm und die Kunsthalle Weishaupt fragen in einer Ausstellung nach dem Sinn ästhetischer Gestaltung. Einfache Antworten gibt es darauf nicht.
Warum macht der Mensch Kunst? Mit dieser großen Frage haben sich schon Generationen von Philosophen, Künstlern und Wissenschaftlern beschäftigt. Und keine letztgültige Lösung gefunden. Nun stellen auch das Museum Ulm und die Kunsthalle Weishaupt die Frage „Warum Kunst?“. Beide – so viel sei bereits verraten – finden ebenfalls nicht die eine Antwort. Was aber gar nicht schlimm ist.
Entstanden ist die Idee zu der Ausstellung, als im vergangenen Jahr sechs Höhlen auf der Schwäbischen Alb zum Unesco-Weltkulturerbe erklärt wurden. In ihnen wurden einige der ältesten Kunstwerke überhaupt gefunden, darunter der rund 40000 Jahre alte Löwenmensch, der Star der Ulmer Sammlung. Stefanie Dathe, die Direktorin des Museums, holte für ihre Ausstellungsidee sogleich die über einen gläsernen Steg mit ihrem Haus verbundene Kunsthalle ins Boot.
Dadurch konnte die Kuratorin aus dem Vollen Schöpfen: Das Museum verfügt nicht nur über Eiszeitkunst, sondern auch über bedeutende Werke der mittelalterlichen Kunst, während die Sammlung des Unternehmerehepaars Siegfried und Jutta Weishaupt ihren Schwerpunkt auf Nachkriegsströmungen wie Pop Art und Minimal Art hat, aber auch einige junge Positionen umfasst. Dazu kommen Leihgaben aus anderen öffentlichen und privaten Sammlungen. Entsprechend ist „Warum Kunst?“ ein Brückenschlag von der Steinzeit bis in die Gegenwart, vom unbekannten Schnitzer des Löwenmenschen bis zum Kunst-Weltstar Anish Kapoor – und mit rund 200 Werken von 100 Künstlern auf einer Ausstellungsfläche von 2000 Quadratmetern ziemlich umfangreich: Man will angesichts dieser Dimensionen fast von Glück sprechen, dass beispielsweise die Antike nicht in den Ulmer Beständen vertreten ist.
Am Anfang ging es um religiöse Inhalte
„Warum Kunst?“, so Museumsleiterin Dathe, sei eine einfache Frage, auf die es jedoch eine Vielzahl sehr komplexer Antwortmöglichkeiten gebe. Das Scheitern an der Ausgangsfrage war also einkalkuliert. Die Ausstellung beleuchtet drei (jeweils ziemlich weite) Felder künstlerischen Gestaltens. Die erste Abteilung in der Kunsthalle dreht sich um Glaubensinhalte und Vorstellungswelten: Schließlich stehen Darstellungen mit religiösem Hintergrund am Anfang der Kunstgeschichte. So wie der Löwenmensch, der als Replik (das Original bleibt in der Archäologie-Abteilung des Museums) zu sehen ist – in einem Kabinett mit einer Videoarbeit des US-Amerikaners Bill Viola und ethnologischen Objekten aus verschiedenen Zeiten und Kulturkreisen.
Es sind reizvolle Konfrontationen wie diese, von denen die Ausstellung lebt, auch in der zweiten Abteilung, die Kunst als Mittel der Aneignung der Welt und der Auseinandersetzung mit ihr erklärt. Dazu passt ein Stillleben von David Hockney ebenso wie japanische Farbholzschnitte aus dem 18. Jahrhundert und Mark Lombardis in Diagramme gepackte Recherchen zu den Verflechtungen von Wirtschaft und Politik. Arbeiten, die nicht viel mehr gemeinsam haben als den Anspruch, Kunst zu sein, und die Tatsache, dass sie die Realität abbilden.
Ein Phänomen, das bei „Warum Kunst?“ immer wieder auftaucht: So wenig wie eine klare Antwort auf die gestellte Frage möglich ist, so wenig existiert eine klare erzählerische Linie. Stattdessen gibt es viele zarte Verbindungen, unerwartete Interferenzen und vor allem: viel interessante Kunst, Bekanntes ebenso wie Abseitiges. „Warum Kunst?“ funktioniert nicht wie eine konzentrierte Themenausstellung, sondern eher wie eine Kunstbiennale oder die Documenta. Die mit umfangreichen Begleittexten versehene Schau fordert selektives und genaues Betrachten heraus.
Kunst regt das Denken an
Folglich müsste die Ausgangsfrage lauten: „Warum Museum?“. Und die Antwort wäre: Weil erst durch Ausstellungen wie diese die Kunst in Kontexte gesetzt wird; weil die Fülle und die Komplexität von Kunst das Denken anregen. Über die Welt, über sich selbst, über die eigene Wahrnehmung und natürlich über die Kunst. So wie es in der dritten und letzten Abteilung der Ausstellung, untergebracht im Erdgeschoss des Fried-Baus im Museum Ulm, geschieht. Mit einer Künstler- und Werkauswahl, die sich sehen lassen kann: Roy Lichtenstein, Georg Baselitz, Gerhard Richter, Andy Warhol, vieles davon aus den eigenen Beständen.
Insofern zeigt „Warum Kunst?“ auch den Stellenwert der Ulmer Sammlungen. Wohl nicht ohne Hintergedanken: Museumsdirektorin Dathe kämpft seit ihrem Amtsantritt für eine bessere finanzielle Ausstattung und einen Umbau ihres Hauses. Diese Ausstellung liefert ihr gute Argumente.
„Warum Kunst?“ wird am Freitag, 4. Mai, um 19 Uhr eröffnet und läuft danach bis 7. Oktober. Ein Begleitband soll im Juni erscheinen.
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