Glaubensbekenntnisse im Rosenpavillon: John McLaughlin beim Jazzsommer
Nicht nur die Rolling Stones stehen seit 60 Jahren auf der Bühne, auch der Weltmusiker John McLaughlin. Beim Augsburger Jazzsommer zeigt er seine Qualität.
Knapp 1000 Publikumsplätze weist das derzeit zu sanierende historische Theater Augsburg auf. Es wäre also auch gut ausverkauft gewesen, wenn dort jetzt John McLaughlin sein jazzrockiges Feuerwerk gezündet hätte. Er zündete es indessen beim Augsburger Jazzsommer im Botanischen Garten an lyrisch benannter Location: am Rosenpavillon. 999 Lauschende sind amtlicherseits zugelassen, 999 erschienen. Nicht jeder, der ihn, den Weltmusiker in jedenfalls zweierlei Hinsicht, hören wollte, konnte ihn hören. Für manche hieß es: Wir müssen draußen bleiben.
Das frühe und überdies aller-erste Jazzsommer-„Ausverkauft“ am Rosenpavillon korrespondierte mit der rekordverdächtigen Kürze des Auftritts von „The 4th Dimension“: Nach 90 Minuten plus zehn Minuten Zugabe war der warme Abend vorbei und die Dämmerung noch nicht abgeschlossen. Aber: Es war nicht das schlechteste Rosenpavillon-Konzert des bald 30-jährigen Jazzsommers – um mal tiefzustapeln.
John McLaughlin kehrt zu seinen musikalischen Wurzeln zurück
Der Mann ist soeben 80½ geworden. Womit er beginnt? Äußerst schlicht mit: Tonika, Subdominante, Tonika, Dominante, Subdominante, Tonika. Die immergrüne Dreistufenfolge des Blues und Rock ’n’ Roll. Jene Folge, die Jazz und Pop in ihrem Innersten zusammenhält. Und jene Folge, mit der auch der heute übergroße John McLaughlin begann. Er war bei Jack Bruce und Ginger Baker quasi der Eric Clapton, bevor „Cream“ geboren wurde. 60 Bühnenjahre hat er jetzt auch schon auf dem Buckel – nicht nur die Rolling Stones. Zu diesen Anfängen also kehrte John McLaughlin eingangs in Augsburg zurück – den Bogen in die Gegenwart schlagend: „Lockdown Blues“ heißt die Nummer – und Blue Notes begleiteten den Abend erstaunlich regelmäßig auch fürderhin.
Aber machen wir erst mal einen Sprung zur Zugabe. Paco de Lucìa war sie gewidmet, dem Flamenco-Gott, für McLaughlin einer der größten Gitarristen „ever“. Und für ihn auch eine Kapazität, mit der sich sein größter Schallplatten-Erfolg verbindet. Das sensationelle 1980er-Gipfeltreffen von Paco, John und Al Di Meola in einer „Friday Night in San Francisco“. Damit ist bis heute belegbar, dass sich höchster musikalischer Anspruch und Breitenwirkung nicht feindlich gegenüberstehen müssen. Wie sinnig also, dass dieser Tage die offenbar von Al Di Meola zurückgehaltene Konzertfortsetzung „Saturday Night in San Francisco“ mit vier Terzett-Nummern und drei Solonummern erschienen ist. Das Wintermärchen von 1980 hat eine Fortsetzung auf CD. Und wie sinnig, dass McLaughlin in Augsburg mit „El hombre que Sabia“ seinem einstigen Freund Paco huldigt. Von Al Di Meola übrigens sprach er nicht …
Tiefe Verehrung genießt John McLaughlin auch beim Publikum in Augsburg
Freilich: Die tiefe Verehrung, die John McLaughlin bis heute entgegenschlägt, sie gründet sich auf seine exzeptionellen Jahre zwischen 1968 und 1975, als er Revolutionäres mit Carla Bley, Miles Davis und schließlich mit seinem Mahavishnu Orchestra einspielte. Es war die große Zeit der Fusion-Musik, des Jazzrock und des Rockjazz. Da setzte er Maßstäbe. Und dies wird von McLaughlin im Grunde bis heute erwartet, und dies liefert er – so vorzüglich wie abgeklärt – auch mit seiner jetzigen Formation „The 4th Dimension“: oft druckvoll-virtuoser Hochgeschwindigkeitsjazz, bei dem sich zudem gegenseitig instrumentale battles geliefert werden. (Dass daneben auch die freundlich-spirituelle Ader McLaughlins zum Tragen kommt, mitunter allzu eingängig wie im „The Creator has a Masterplan“, ist eine andere Sache. Das liegt ihm am Herzen, da muss was raus.)
Der Kern der weltweit hochrespektierten Weltmusik des John McLaughlin, der sich ja auch musikalische Systeme jenseits seiner eigenen britischen Kultur aneignete, war jedenfalls nun auch in Augsburg das Ereignis und das rein musikalische Glaubensbekenntnis: jene auskomponierten rhythmischen Verschachtelungen und metrischen Verschiebungen, gern über Unisono-Skalen hoch- und runtergejagt. Da kriegt man handwerkliche und künstlerische Artistik fürs Geld. Da sollte bei aller Rasanz die Zeit mal stillstehen.
In Augsburg spielt John McLaughlin mit dem Bassisten Étienne Mbappé
Zu machen ist das nur mit vorzüglichen Musikern, denen John McLaughlin auch immer wieder betont Solo-Raum verschafft. Elektroknackig der behandschuhte Bassist Étienne Mbappé, ein Ausbund an Triebkraft: Nicolas Viccaro, besonders funky am E-Piano: Gary Husband. Die Drei sind deutlich jünger als McLaughlin, was fraglos für den einst mehrfachen „Gitarristen des Jahres“ spricht.
Die Finger laufen weiter geschwind. Geistesgegenwart ist nicht die geringste Tugend von „The 4th Dimension“. Man verausgabte sich – und fand zu beseelter Tiefe in Balladen, von McLaughlin „Atmosphären“ genannt. Als dann aber um 21.43 Uhr Husband die Noten auf dem E-Piano zuklappte und Mbappé ein Kabel zusammenrollte, war dies überdeutliches Zeichen dafür, dass genug Überzeugungsarbeit geleistet worden war. Standing Ovations.
Die Diskussion ist geschlossen.