Das Grauen von Mölln
Es gibt Orte, deren Namen in das Gedächtnis als Synonym für ein Unglück oder ein monströses Verbrechen eingebrannt sind. So ergeht es beispielsweise der Kleinstadt Mölln.
Es gibt Orte, deren Namen in das Gedächtnis der Nation als Synonym für ein schreckliches Unglück oder ein monströses Verbrechen eingebrannt sind. So ergeht es beispielsweise der Kleinstadt Mölln im Südosten Schleswig-Holsteins. Die schmucke Stadt mit ihren 19000 Einwohnern ist zwar bei Touristen beliebt, verfügt aber nicht über genügend Strahlkraft, um den 23. November 1992 im Bewusstsein der meisten Deutschen zu überdecken.
Vor exakt 20 Jahren starben in der Möllner Altstadt bei Brandanschlägen zwei türkische Mädchen sowie deren Großmutter. Die Täter: zwei Skinheads, 19 und 25 Jahre alt. Nach einer Schockstarre kam die beeindruckende Reaktion: Hunderttausende demonstrierten gegen Rechtsextremismus, legten Kränze nieder, stellten Kerzen in ihre Fenster. Heerscharen von Psychologen, Extremismusforschern und Soziologen versuchten das Unfassbare fassbar zu machen – im Wesentlichen vergebens. Nur sechs Monate später verbrannten fünf türkischstämmige Menschen in Solingen. Die Täter: vier Neonazis.
Im November 2011 beendete ein Doppelselbstmord das Treiben der Terrorzelle NSU. Zehn Morde, zwei Sprengstoffanschläge und Banküberfälle werden der Zelle zur Last gelegt. Die Täter: Neonazis.
Das ist eine niederschmetternde Bilanz. Doch resignieren ist ebenso wenig erlaubt wie Beschönigung oder Panikmache.
Wie groß ist die aktuelle Bedrohung durch die neuen Nazis? Während die einen das Land im Würgegriff eines gewalttätigen Rechtsextremismus, aber auch einer alltäglichen Fremdenfeindlichkeit wähnen, halten andere die braune Gefahr für maßlos überschätzt. Dass der Terror von rechts eine potenzielle Bedrohung ist, auch wenn – oder gerade weil – er nicht über ausgefeilte Strukturen verfügt wie einst die RAF, kann nicht bestritten werden. Es hat kaum zur Beruhigung beigetragen, dass Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) jüngst vermeldete, dass rund 100 mit Haftbefehl gesuchte Rechtsextremisten in den Untergrund abgetaucht sind. Zu hoffen bleibt, dass die Fahndung in diesen Fällen zielstrebiger läuft, als dies beim NSU-Trio der Fall war.
Längst räumen auch konservative Politiker ein, dass die Sicherheitsbehörden versagt haben, während sich das linke Spektrum in dem Verdacht bestätigt sieht, dass Polizei und Verfassungsschutz „auf dem rechten Auge blind“ sind. Letzteres hat Tradition: „Deutsche Polizisten schützen die Faschisten“ skandieren Linksautonome – selber so verbohrt wie radikal – seit Jahrzehnten, wenn sich die Beamten zwischen ihren Block und rechtsextreme Demonstranten schieben. Dabei übersehen sie, dass es in einem Rechtsstaat zu den Aufgaben der Polizei gehört, genehmigte Kundgebungen zu schützen.
Richtig ist, dass den Sicherheitsbehörden in der Frühzeit der Bundesrepublik das Motto „der Feind steht links“ ein Leitmotiv war. Das lag an der Frontlage Deutschlands im Kalten Krieg, aber auch daran, dass viele Polizisten und Geheimdienstler ihr Handwerk im Dritten Reich erlernt hatten. Bis in die 80er Jahre hinein wurde Gewalt von links konsequenter verfolgt als von rechts. Die Bedrohung durch Baader-Meinhof und Co. beherrschte über Jahre das Denken und Handeln.
Daran hat sich einiges geändert. Doch es wird Zeit, die Reste der alten Reflexe zu überwinden. In Zukunft darf es nie wieder so weit kommen, dass Ermittler einen rechtsextremistischen Hintergrund fahrlässig ausschließen, wenn Händler und kleine Geschäftsleute mit ausländischen Wurzeln ermordet werden.
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