Kann Missbrauch Liebe sein?
„Blackbird“ im Podium stellt verstörende Fragen an die Moral der Zuschauer – und gibt doch kaum Antworten
Ulm Schwarz und weiß. Die Rollenverteilung scheint klar – Pädophiler und Missbrauchsopfer. David Harrower aber schrieb 1995 sein verstörendes Stück „Blackbird“ als Provokation, bei der die urteilende Haltung des Zuschauers zwischen Moral und Unmoral immer mehr verschwimmt. Er wolle nicht, dass die Zuschauer dächten, man solle das Strafrecht ändern, sagte Harrower über „Blackbird“. Aber er wünsche sich, dass es Fragen aufwerfen solle. Das tut auch die Ulmer Inszenierung Heike Franks im Podium. Nichts ist, wie es scheint, und nach 90 Minuten verlässt der Zuschauer das Theater mit Bildern einer großartigen schauspielerischen Leistung und mit der Frage nach seinem eigenen Urteilen im Kopf.
Una und Ray hatten vor 15 Jahren eine Beziehung. 40 war er damals, sie zwölf. Er wurde zu einer Haftstrafe verurteilt und baute sich mit neuer Identität unter Mühen wieder ein Leben auf. Bis eines Tages Una in dem vermüllten Pausenraum einer Firma auftaucht, in der Ray arbeitet. Auch hier entsprechen die ersten Minuten der Erwartung des Zuschauers: Una (Johanna Paschinger) bricht über den verabscheuten Täter Ray herein wie ein Racheengel, beherrscht therapieerfahren sofort den Raum und den Mann, dessen Hände zittern, dessen ganzer Körper nicht mehr fest auf dem Boden stehen kann (Wilhelm Schlotterer mit beeindruckender Körpersprache).
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