Erst willkommen, dann verhasst: Die Juden und die Alte Synagoge in Ulm
Die Stadt zahlte mit, die Kirche gab einen Kredit: Die Alte Synagoge war willkommen in Ulm. Dann brach der Hass durch. Eine Ausstellung erzählt die Geschichte.
Es war der 12. September 1873: An diesem Tag vor genau 150 Jahren wurde die nach Plänen des Stuttgarter Baurats Adolf Wolff erbaute Synagoge in Ulm eingeweiht. Es gab einen Tag der offenen Tür, die Stadt und die evangelische Kirche unterstützen den Bau der Synagoge auf dem Weinhof ausdrücklich. 65 Jahre später wurde die Synagoge in der Reichspogromnacht von fanatischen Nationalsozialisten geschändet und dann abgerissen. An diese Ulmer Synagoge erinnert die Ausstellung "Alte Synagoge in Ulm – 150 Jahre Einweihung der Alten Synagoge 1873" im Haus der Stadtgeschichte.
Jüdische Gemeinden hatte es in Ulm seit dem Mittelalter gegeben, der Judenhof erinnert daran. Einzelne Jüdinnen und Juden lebten auch nach den Pogromen am Ende des Mittelalters in Ulm. Doch konnte sich erstmals 1806 wieder eine jüdische Gemeinde ansiedeln, deren Mitglieder zunächst die Synagoge in Laupheim besuchten. In Ulm wurde ein angemieteter Raum im Gasthaus "Schwanen" auf dem Weinhof Gebetsraum. Es gab einen Vorsänger, der Simon Einstein hieß. 1867 erwarb die jüdische Gemeinde ein sogenanntes Rotgerberhaus auf dem Weinhof, das für den Bau einer Synagoge abgerissen wurde.
Alte Synagoge wurde 1873 am Weinhof in Ulm eingeweiht
Nach dreijähriger Bauzeit konnte die Synagoge, die innen und außen prächtig in einem orientalischen Stil konzipiert war, unter großer Anteilnahme der christlichen Bevölkerung und von Prominenz aus der Stadtspitze und der evangelischen Kirche eröffnet werden. Die evangelische Kirche hatte einen Kredit gegeben, die Stadt Ulm einen Baukostenzuschuss – eindeutige Zeichen des Willkommenseins der jüdischen Gemeinde in der Stadt. Ein Gemeindehaus befand sich benachbart ebenfalls am Weinhof. Bilder aus dem Inneren der Synagoge konnte Stadtarchivdirektor Michael Wettengel trotz intensiver Suche nicht finden. Bekannt ist aber, dass die Synagoge zwei Stockwerke hatte, dass es 16 Wandleuchter gab und fünf Doppeltüren. Die Gemeinde war nicht orthodox, sondern wurde von orthodoxer Seite kritisiert, weil die Synagoge über eine Orgel verfügte (die zeitweise der identische Kantor wie im Münster spielte), und es gab einen Synagogenchor. Die kleine Gruppe orthodoxer Juden in Ulm weigerte sich deshalb, die Synagoge zu betreten.
Die Ausstellung, die von Stadtarchivleiter Michael Wettengel, Sabine Presuhn und Ulrich Seemüller konzipiert und erarbeitet wurde, stellt Mitglieder und Rabbiner der Ulmer Gemeinde vor, so den Leutnant August Nathan, die Familie von Julius und Friederike Moos und das Ulmer Schokoladengeschäft Czisch. Erster Rabbiner der jungen Ulmer jüdischen Gemeinde war Seligman Fried, dem Jesaja Straßburger und nach dessen Tod sein jüngerer Bruder Ferdinand nachfolgten. Julius Cohn, Rabbiner von 1927 bis 1940, wurde in der Reichspogromnacht schwer misshandelt, hielt am 4. April 1940 seine Abschiedspredigt vor seiner Gemeinde über Psalm 121 und emigrierte im Mai 1939 nach Großbritannien, wo er an den Folgen seiner Verletzungen starb. Seine Ehefrau Dorothea wurde am 19. Oktober 1944 in Auschwitz ermordet.
Ausstellung im Haus der Stadtgeschichte geht auf NS-Repressalien ein
Die Ausstellung thematisiert auch Repressalien in Ulm gegen Menschen jüdischen Glaubens, die allerdings schon vor 1933 begonnen hatten. So wurden die Kuppeln der Synagoge auf Forderung der NSDAP bereits 1929 entfernt. Forderungen nach dem Abriss der Synagoge gab es im Gemeinderat schon 1937 und im Oktober 1928 wurde politisch offen darüber gesprochen, darauf hinzuwirken, "daß die Synagoge in Ulm verschwindet." Tage vor der Pogromnacht hatte der NS-Oberbürgermeister Friedrich Foerster beklagt, man habe in Ulm "zu wenig Sorgfalt und Pflege auf den städtebaulichen Wert" des Weinhofs gelegt, und hatte eine Umgestaltung des Platzes angekündigt. Der Pogromnacht gingen also präzises Planungen voraus.
Die Ulmer jüdischen Gemeinde wurde im August 1939 aufgelöst. In der Reichspogromnacht war die Ulmer Synagoge zwar in Brand gesetzt, wegen des danebenliegenden Farben- und Lackegeschäfts Müller & Feuchter war der Brand aber von der Feuerwehr schnell gelöscht worden. Die nur wenig beschädigte Synagoge wurde wie vom Ulmer Gemeinderat gefordert in den Folgetagen abgerissen, die Kosten dafür wurden der jüdischen Gemeinde aufgebürdet. Im Stadtarchiv belegen Dokumente, dass man sich in den Tagen nach der Pogromnacht nicht nur am Inventar in der Synagoge bediente, sondern sogar Holzböden, Heizkörper und Fußböden ausbaute.
Die Ausstellung im Haus der Stadtgeschichte ist bis Samstag, 14. Oktober zu sehen.
Die Diskussion ist geschlossen.