Oratorienchor begeistert mit "Nordischen Klängen"
Mit Stücken von Arvo Pärt und Ola Gjeilo hat Chorleiter Thomas Kammel ein für Musiker wie Publikum anspruchsvolles Programm vorbereitet - mit großem Erfolg.
Thomas Kammel ist ein Mann mit Fingerspitzengefühl, ein Chorleiter der feinen und ganz lang gehaltenen Töne, einer, der sich selbst vollständig zurücknehmen kann. In der Pauluskirche zelebrierten der Ulmer Oratorienchor unter Kammels Leitung, das collegium musicum Ulm und Solisten einen großartigen Abend Neuer Musik aus dem Norden Europas.
Die Friedensbitte spannte Kammel als Bogen ums Konzert – und bat deshalb das Publikum darum, nicht während des Konzertes, sondern erst am Ende zu applaudieren. Das Publikumsinteresse war so groß, dass "Nordische Klänge" erst mit viertelstündiger Verspätung beginnen konnte, weil immer noch Menschen an der Kasse standen und die letzten Karten kauften. Sie alle aber in der voll besetzten Pauluskirche ließen ihrer jubelnden Begeisterung tatsächlich erst am Ende des Konzertes stehend und lange applaudierend freien Lauf. Dabei war das Programm dieses Herbstkonzerts des eindrucksvoll agierenden Oratorienchors keines, das das Publikum mit beliebten Stücken angezogen hätte; die Komponistennamen Arvo Pärt und Ola Gjeilo machten vorher klar: Hier gilt es, genau hinzuhören, hier ist nichts zum Schwelgen. Der Este Arvo Pärt und der Norweger Ola Gjeilo, beide international hoch angesehen, stehen für sakrale Werke Neuer Musik, für eine außergewöhnliche Handschrift jeder von beiden.
Das verbindet die vier Stücke im Programm
Kammel ordnete die vier Werke des Abends klug an. Die Werke haben eine nicht auf den ersten Blick ersichtliche Verbindung, denn alle nehmen in irgendeiner Weise textlich oder in melodischen Anklängen Bezug auf Töne oder Gebete des mittelalterlichen Christentums. Arvo Pärts "Da pacem domine", 1977 komponiert, ist ein Frühwerk im mathematisch-minimalistischen und atonalen Tintinnabuli-Stil – und entstand aus Pärts intensiver Beschäftigung mit gregorianischer Musik heraus. Ola Gjeilos vor elf Jahren aufgelegtes Chorwerk "Dark night of the Soul" ist inspiriert von einem mittelalterlichen Gebet des spanischen Kirchenlehrers Johannes vom Kreuz und transportiert eine Sehnsucht nach dem friedlichen Licht aus dem Dunkel heraus. Sopran-Solistin Viviane Steffens brachte eine starke Leistung. Das einzige instrumentale Werk des Abends, Arvo Pärts "Tabula rasa", nimmt das Bild einer unbeschriebenen Seele als Ort aller Ideen auf. Die beiden Teile, ein lebhafter erster Teil und ein sehr reduzierter zweiter, verlangten von Petr Hemmer und Lena Thanner (Violine) ein Höchstmaß an Leistung, denn das Werk geht in seinen extrem hohen und leisen Tönen an die Grenzen der Spielbarkeit.
Hauptwerk des Abends war Ola Gjeilos 2008 uraufgeführte neoklassische "Sunrise Mass", die die lateinischen liturgischen Texte zitiert und in einen neuen Zusammenhang bringt. Gjeilo nützt das Kyrie für an- und abschwellende Sphärenklänge, lässt über dem Gloria metaphorisch die Sonne aufgehen und im Credo, "The City" genannt, Menschenstimmen ihren Glauben bekennen. Nach dem "Dona nobis pacem" senkte Thomas Kammel, der den Oratorienchor sehr differenziert und hoch konzentriert geführt hatte, ganz langsam die Arme – ehe endlich der Jubel des beeindruckten Publikums losbrechen konnte.
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