
Ernst-Toller-Preis für Wolf Biermann

Der Verleihung in Neuburg hat der Schriftsteller und Liedermacher Wolf Biermann weit mehr zu verdanken als die 5000 Euro Preisgeld. „Es ist ein Kuss in die Seele.“
Absolut elegant nimmt er die Stufen zur Bühne im Stadttheater. Er zeigt sich vital, was seine Bewegungen, seine Sprache und seinen Gesang angehen. Fast noch wie ein Junger tritt Wolf Biermann bei seiner Dankesrede in Neuburg auf, wo ihm kurz zuvor der Ernst-Toller-Preis verliehen wurde. Er ist ja auch noch kein alter Mann, sondern ein „blutjunger Greis“, wie der 82-Jährige verschmitzt lächelnd sagt und später auch noch singen wird. Als musikalisches Kontrastprogramm dazu passte perfekt die Perkussion der jungen „Vier Hoiben“ – gekonnt, wieselflink, überraschend.
Tag der Preisverleihung an Wolf Biermann war der 125. Geburtstag Ernst Tollers
Der Tag der Preisverleihung am 1. Dezember war ein besonderer Tag. Ernst Toller, Schriftsteller und Dramatiker, Politiker und linkssozialistischer Revolutionär, wäre an diesem Tag 125 Jahre alt geworden. Nach seinem Freitod im Exil in New York, da war Toller Mitte Vierzig, landete seine Asche in einem anonymen Massengrab. Nicht zuletzt der Ernst-Toller-Gesellschaft unter dem Vorsitz von Dieter Distl ist es zu verdanken, dass der mit am meisten geachtete deutsche Dichter der ersten Hälfte der Zwanzigerjahre nicht vergessen wurde. Zum zehnten Mal seit 1997 hat sie nun im Zwei-Jahres-Rhythmus einen nach Ernst Toller benannten Preis verliehen.

Von Beginn an stand der Lions Club Neuburg dieser Idee aufgeschlossen gegenüber, wie der derzeitige Präsident, Manfred Rinke, in seiner Ansprache erzählte. Mit dem Erlös aus seinem Bücherbasar stattet der Club seit der ersten Verleihung den mit 5000 Euro dotierten Literaturpreis finanziell aus. Wolf Biermann, so Rinke, reihe sich nahtlos in die Liste der bisherigen Preisträger ein. Darunter Juli Zeh, deren Dankesrede einige Jahre später in Bayern sogar als Aufgabe im Deutsch-Abitur aufgegriffen wurde, Gerhard Polt oder Literatur-Nobel-Preisträger Günter Grass.
Letztlich faszinierte die Biermann-Biografie Neuburgs Oberbürgermeister
Mit Zurückhaltung, wie er sagte, hatte sich Oberbürgermeister Bernhard Gmehling herangemacht, aus Biermanns Biografie mehr über den Schriftsteller und Liedermacher zu erfahren: den Brecht-Schüler, den SED-Kritiker, Ausgebürgerten, Exil-Westdeutschen, Lyriker, Erfolgsautor, Vater und stets kritischen Geist. Aber bereits nach wenigen Seiten habe er sich von dem Buch regelrecht gefangen nehmen lassen. Das Besondere an diesem Werk sei für ihn, dass sich der Held des Romans immer wieder selbst hinterfrage, sich selbst zurücknehme, andere in den Mittelpunkt stelle und im Laufe der über 500 Seiten immer mehr an sich selbst spüre, wie er sich vom geborenen und überzeugten Kommunisten zu einem politischen Freigeist wandle. Für Gmehling war es „mein persönliches Literaturerlebnis 2018“. Die Entscheidung der hochkarätig besetzten Jury, Wolf Biermann den Preis zu verleihen, begrüße er ausdrücklich. „Welch eine Ehre für die Ernst-Toller-Gesellschaft und die Große Kreisstadt Neuburg.“
Irene Zanol von der Universität Innsbruck stellte anschließend „Die Kritische Ausgabe der Briefe Ernst Tollers“ vor. Die zwei Bände beinhalten überlieferte Schreiben, von der Feldpostkarte aus dem Ersten Weltkrieg bis hin zu seinen letzten Briefen im New Yorker Exil. Die aufgeführten, knapp 1700 Überlieferungen seien aber noch nicht das Ende der geführten Konversationen. Die vom „Toller-Virus“ angesteckten, wie Dieter Distl oder Professor Stefan Neuhaus, würden da auch nicht locker lassen.
Wann veröffentlicht Biermann seine Tagebücher? „Wir warten!“, sagt Laudator Wulf Segebrecht
Nachdem Kirsten Reimers die Begründung der Jury vorgetragen hatte („Wem sonst, als dem Frechen, dem Zweifler Wolf Biermann?“), führte Professor Wulf Segebrecht den Gästen im Stadttheater vor Augen, um welchen Menschen es sich bei Wolf Biermann handelt. Basis für seine Lobrede war dessen Biografie. Unterteilt in zehn Abschnitten beantwortete Segebrecht aus unterschiedlichen Perspektiven letztlich die Frage „Wer wird nicht seinen Biermann loben?“ Außerdem stellte er dem Preisträger am Ende die Frage, wann er denn endlich seine rund 200 Tagebücher veröffentlicht, die er, seit er 17 Jahre alt ist, geschrieben hat. „Wir warten!“

Und dann kam Biermann. Er gab in seiner Dankesrede zu, dass er Ernst Toller bis vor kurzem gar nicht richtig gekannt habe. Er hätte nicht in die DDR gepasst, dieser durch und durch politische Dichter, weil er rebellisch gegen alles Totalitäre war. Biermanns Generation in der jungen DDR prägte vielmehr das Beispiel Bertold Brechts. Der habe, zu dieser Meinung stehe Biermann heute noch, das Kaliber von Shakespeare, den haltbarsten deutschen Dichter des vergangenen Jahrhunderts. Sein einstmals berühmtester Zeitgenosse, Ernst Toller, sei dagegen heute fast vergessen.
Wolf Biermanns Gewinn: „Ich war endlich gezwungen, mir diesen Toller reinzuziehen.“
Biermann hat ihn mittlerweile genauer kennengelernt. Er sagte, dass er dem Toller-Preis viel mehr als das Preisgeld von 5000 Euro verdanke und mehr als ein paar Feuilleton-Spalten auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten. „Mein Gewinn ist, dass ich endlich gezwungen war, mir diesen Toller reinzuziehen aus den Büchern.“ Die Würdigung sei für ihn „ein Kuss in die Seele“ und eine Ermutigung, „wer brauchte die nicht“. Der Toller-Preis bedeute für ihn einen guten Start in die letzte Etappe seiner langen Lebensreise.
Revanchieren für die Auszeichnung hier in Oberbayern wollte sich Biermann mit dem Lied Melanchonie. Es habe, so der Geehrte, allerhand Berührungspunkte mit dem viel zu kurzen Leben des Ernst Tollers. Es war nicht das einzige Lied, das er zum Besten gab. Mit seiner Ehefrau Pamela hatte er davor schon einige Lieder vorgetragen. Intensiv an der Gitarre spielend und stimmgewaltig und einprägsam singend – so wie das einem blutjungen, 82-jährige Greis auch gut zu Gesicht steht.
Lesen Sie dazu den Kommentar "Neuburg, die Kulturstadt", von Manfred Rinke.
Die Diskussion ist geschlossen.