Als Rieser die Juden bedrohten
Gedenken Werner Eisenschink referiert über die Pogromnächte im Donau-Ries
Nördlingen Der Vortrag des Historischen Vereins für Nördlingen und das Ries über die Pogromnächte am 9./10. November 1938 im fränkisch-schwäbischen Raum war nichts für schwache Nerven. Das Foyer des Stadtmuseums Nördlingen war – obwohl es in Nördlingen zwei weitere interessante Lesungen am gleichen Abend gab – voll, die Stühle reichten gerade so aus. Es ist ein Thema, über das nach wie vor nicht gerne geredet wird. Vor allem weil es, wie Werner Eisenschink weiß, im Ries laut Aussage nicht weniger Mitmenschen „sowas wie Pogrome ja eh’ net gäba hot“. Weit gefehlt: das, was der Referent anhand von Aufzeichnungen, Vernehmungsprotokollen, Augenzeugenberichten und anderen historischen Quellen darlegte, eröffnete den Zuhörern einen höchst unerfreulichen Blick auf einige der dunkelsten Stunden und in die seelischen Abgründe sonst doch ehrbarer Bewohner vermeintlich idyllischer Kleinstädte.
Es geht ja nicht nur um brennende Synagogen, das was heute als Fanal für die „Reichskristallnacht“ steht, es geht um zerstörte jüdische Geschäfte, verwüstete Wohnungen, Plünderungen. Es geht um Menschen, die verhöhnt und misshandelt werden. Es geht um schweigendes Gaffen, über klammheimliche und sogar offene Freude Unbeteiligter über die Not der Juden, bis hin zu offener Feindseligkeit und die Gier, sich das Hab und Gut der Gequälten anzueignen. Zahlreiche Beispiele und auch dazugehörige Namen nannte Werner Eisenschink, er erzählte vom Oettinger Stadtkämmerer Ballbach, der die Oettinger Synagoge „federführend“ auf dem Gewissen hatte. Er schilderte, wie sich ehrbare Bürger schamlos an jüdischem Besitz bereicherten, Häuser, Geschäfte oder ganze Firmen nach teils massiven Drohungen den Vorbesitzern abpressten. Er nannte große Akteure wie Leopold Meyer oder Richard Breitling aus Nördlingen, aber er zeigte auch, dass scheinbar normale Bürger genauso wüteten wie die Täter, als etwa eine Frau, die neben der Nördlinger Synagoge wohnte, flugs „Brandbeschleuniger“ aus ihrer Wohnung holte, damit die herausgeworfenen Bücher, Vorhänge, Teppiche und andere Einrichtungsgegenstände besser verbrannten. Und vor allem: Werner Eisenschink beweist, dass ein Großteil der Bevölkerung von der Not der Juden, von Versteigerungen (oder Plünderungen) profitiert hat und die Mär vom „Ich habe nichts gesehen und nichts davon gewusst“ so nicht stimmen kann. Die Bilanz der Pogromnacht in Deutschland: 1400 ausgebrannte und geplünderte Synagogen, über 170 zerstörte Wohnhäuser, wohl um die 1400 Tote, über 30000 Verhaftungen jüdischer Männer. „Bei uns war es nicht so schlimm wie anderswo!“ Dieses Argument hört Werner Eisenschink nur allzu oft. Ihm geht es auch gar nicht darum, jetzt „immer noch“ anzuklagen. Es schmerzt ihn, wie er sagt, „dass das Wissen um den Holocaust nachlässt“. Wolfgang Benz, Professor an der TU Berlin bringt es auf den Punkt: „Die Erkenntnis aus den Novemberpogromen darf nicht nur darin bestehen, den bis heute virulenten Antisemitismus zu bekämpfen und an das Leid der jüdischen Minderheit wie an die Untaten der christlichen Mehrheit zu erinnern. Die Lektion ist erst begriffen, wenn die Diskriminierung aller Minderheiten, sei es wegen ihrer Religion oder Kultur, ihrer Herkunft, ihrer sozialen Situation oder ihrer sexuellen Ausrichtung und Identität, geächtet ist“. Dieses gewichtige Wort gilt für die Gesamtgesellschaft, im Großen. Damit man auch im Kleinen immer wieder daran erinnert wird, ist die Arbeit von Werner Eisenschink, hier vor Ort, umso wichtiger.
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