Opfer der Nazis: "Josef" aus dem Ries
Die Nationalsozialisten vergasten auch Menschen, die sie als "nutzlose Esser" betrachteten. Zum Beispiel einen Mann aus dem Ries, der in Schweinspoint lebte.
„Einen Nerv getroffen“ hätten die Rieser Kulturtage mit der Vortragsveranstaltung „Verwaltet. Vergast. Vergessen“ im Nördlinger Stadtmuseum, urteilte Vereinsvorsitzender Gerhard Beck. Dr. Franz Josef Merkl, der Archivar der Stiftung St. Johannes in Schweinspoint, und Daniel Hildwein, sein Kollege von der Gedenkstätte Grafeneck, stellten an einem Einzelschicksal dar, wie das „Dritte Reich“ mit Personen umging, die nach der unmenschlichen Betrachtungsweise der Machthaber als „nutzlose Esser“, ja als „Ballast-Existenzen“, mehr noch, sogar als „lebensunwert“ galten.
Doreen Paus, Geschäftsführerin der Stiftung St. Johannes aus Schweinspoint, stellte die heutige Einrichtung kurz vor und erinnerte daran, dass das „Dritte Reich“ zahlreiche Menschen aus der Region in seine Vernichtungsmaschinerie deportierte. Das Gedenken an diese Opfer finde seinen Ausdruck unter anderem in den Forschungen des Archivars und öffentlichen Veranstaltungen.
Mord wurde als "Gnadentod" bezeichnet
Dass „Euthanasie“ keine Erfindung der Nazis war, stellte Daniel Hildwein an den Anfang seiner Ausführungen. Das griechische Wort bezeichnet ursprünglich den „Guten Tod“, das heißt ein ehrenvollen, schmerzloses Sterben. Im Zuge der „Umwertung aller Werte“ und der Entartung des Begriffs der „Eugenik“ wurde aus der Euthanasie der „Gnadentod“ und schließlich eines der grässlichsten Menschheitsverbrechen. Ein weiterer Begriff drängt sich auf: Es handelt sich um einen unsäglich heuchlerischen „Euphemismus“. Den offiziellen Startschuss gab ein formloser Schrieb des Führers und Reichskanzlers Adolf Hitlers vom 1. September 1939, mit dem er den Auftrag gab, die Befugnisse von ausgewählten Ärzten so zu erweitern, dass „unheilbar Kranken der Gnadentod gewährt werden kann“. Es war der Freibrief für hunderttausendfachen Mord an schuld- und wehrlosen Menschen.
Franz Josef Merkl stellte „Josef Huber“ aus „Riesdorf“ vor. Er hat tatsächlich gelebt, Name und Wohnort wurden zum Schutz der persönlichen Sphäre der Verwandten nicht im Original verwendet. Sein Schicksal ist aktenmäßig nachgewiesen: nichteheliche Geburt 1916, Vaterschaftsanerkenntnis seines Erzeugers 1917, Eheschließung der Eltern 1919, vernichtende Beurteilung durch den Dorflehrer, Unterbringung in Schweinspoint (14. Juni 1939), Todesnachricht an das Geburtsstandesamt (1940). Er tat niemandem etwas zuleide. Aber 1939 wurde "Josef" aufgegriffen, weil er in einem fremden Schuppen übernachtet hatte.
Amtsarzt beantragt die "Unfruchtbarmachung"
Wegen Landstreicherei und weil er möglichweise einen Brand legen könnte, beantragte der Amtsarzt die „Unfruchtbarmachung“ von „Josef“. Noch 1939 wurde "Josef" nach Schweinspoint eingewiesen. Mitte November 1940 wurden 100 Männer aus Schweinspoint nach Günzburg transportiert, darunter „Josef Huber“. Von dort ging es für 32 Männer „sonst wohin“, das heißt nach Grafeneck auf der Schwäbischen Alb. Dort wurden sie zusammen mit 42 anderen Opfern (74 war das „Fassungsvermögen“ der Gaskammer) durch Kohlenmonoxid getötet. Am 1. Dezember 1940 vermerkte der Ortspfarrer im Taufregister den Todestag.
Das Ende der Aktion T4 war nicht das Ende der Massentötungen, sondern eher der Probelauf. Maßgebliche Organisatoren der Mordprozeduren wurden mit ihrem Wissen in den Osten versetzt und brachten weitere Millionen von unschuldigen Menschen um. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, wurden sie nach dem Krieg nicht oder mit lächerlichen Strafen belegt. Jahrzehntelang lag über dem grauenhaften Geschehen ein gesellschaftliches Tabu. Mit unzähligen Einzelangaben belegten die beiden Referenten ihre Ausführungen zu dem bedrückenden Thema. Das Publikum war dankbar für die meditativen, von Helmut Scheck arrangierten Zwischenmusiken des Volksmusik-Duos Eisenschink/Gericke.
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