Fall Kachelmann: Der geheime Prozess
Im Fall Kachelmann sagt jetzt das mutmaßliche Opfer aus. Doch selbst diese entscheidende Phase spielt sich hinter verschlossener Tür ab. Von Holger Sabinsky und Ulrich Willenberg
Welch groteske Ausmaße der Vergewaltigungsprozess gegen Jörg Kachelmann angenommen hat, belegt folgende Szene: Eine grauhaarige Seniorin tönt im Landgericht Mannheim in eine Fernsehkamera: "Jörg Kachelmann ist unschuldig." Ihre Begründung: Das mutmaßliche Opfer habe "überhaupt nicht vergewaltigt gewirkt".
Wie hätte Claudia D. auftreten sollen, um glaubwürdig zu wirken? Als weinendes Häufchen Elend? Die 37-jährige Radiomoderatorin entscheidet sich am Montag für die selbstbewusste Variante. Am Tag, an dem ihre mit Spannung erwartete Aussage tatsächlich beginnt, trägt sie enge, schwarze Jeans, hochhackige Schuhe, schwarzes Top und darüber ein graues Kleid. Mit forschem Gang und einem Lächeln betritt sie den Gerichtssaal.
Doch was bedeutet das alles schon für ihre Glaubwürdigkeit? Für mutmaßlich Vergewaltigte ist es in solchen Prozessen nicht einfach, das richtige Verhalten zu finden. Das Schicksal des angeklagten Wetterexperten hängt entscheidend von der Aussage der Frau ab. Die Nebenklägerin ist selbst das zentrale Beweismittel. Zeugen und eindeutige Beweise fehlen.
Wie überzeugend Jörg Kachelmanns langjährige Freundin dann tatsächlich wirkt und was sie Richtern, Staatsanwälten und Gutachtern antwortet, all dies wird wahrscheinlich nie ausführlich an die Öffentlichkeit kommen. Zuschauer und Medienvertreter werden aus dem Saal gebeten, als die Befragung beginnt. Das geschieht zum Schutz der Persönlichkeitsrechte von Claudia D. Keine intimen Details sollen bekannt werden.
So weit, so gut. Doch in der Konsequenz kann das bedeuten, dass auch Gutachter ihre Expertisen nur hinter verschlossenen Türen vorlegen dürfen. Sogar Teile der Plädoyers könnten geheim bleiben, denn immer wird es um intime Details gehen. Der Prozess des Jahres - wird er zu einer großen Geheimniskrämerei? Wie umfassend Medien und Zuschauer von dem Geschehen ausgeschlossen werden dürfen, dieses Thema dürfte Richter und Staatsanwälte noch beschäftigen. Wird das berechtigte Interesse der Öffentlichkeit zu sehr eingeschränkt, kann das auch Grund für eine Revision sein.
Klar wird nur, dass die Befragung des angeblichen Opfers sehr detailliert gerät. Allein die Lebensgeschichte der Claudia D. nimmt etliche Stunden in Anspruch. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft sagt, die Vernehmung werde wahrscheinlich mehrere Tage dauern. Während sie aussagt, wird ihr Gesicht auf eine Großleinwand projiziert. Den Gutachtern, die über ihre Glaubwürdigkeit entscheiden, soll kein Muskelzucken entgehen. Unabhängig davon, was von solchen Methoden zu halten ist: Dass die Gutachter wesentlichen Einfluss auf das Urteil haben werden, ist Fakt.
So ist eine regelrechte Schlacht der Sachverständigen entbrannt. Dass der Befangenheitsantrag gegen die drei Richter noch nicht entschieden ist, rückt angesichts dessen in den Hintergrund. Neun Gutachter sind nun an dem Verfahren beteiligt. Kachelmann-Verteidiger Reinhard Birkenstock hat drei weitere berufen. Er ist sicher, dass die neuen Expertisen die Unschuld seines Mandanten beweisen werden. Demnach soll es in der fraglichen Nacht zwischen dem Wettermoderator und seiner Geliebten zu "einvernehmlichem, variantenreichem Sex" gekommen sein. Ein Gerichtsmediziner soll beurteilen, ob sich Claudia D. die Verletzungen an Hals und Oberschenkeln selbst zugefügt haben könnte. Ein anderer Sachverständiger soll berichten, dass die Spuren am Tatort nicht mit der Tatschilderung der Nebenklägerin übereinstimmen und dass es am angeblichen Tatmesser keine DNA-Spuren gibt, die man Herrn Kachelmann zuordnen kann.
Der Meteorologe soll seiner Freundin in der Tatnacht ein Küchenmesser an den Hals gehalten und gesagt haben: "Halt die Klappe oder du bist tot." Auch am Montag trägt Claudia D. einen Schal im Gerichtssaal. Diesmal ist er kräftig lilafarben. Ob sie damit etwas aussagen will, ist unklar. Es gibt Psychologen, die meinen, dass Opfer von Angriffen auf den Hals sich danach instinktiv mit einem Schal schützen. Andererseits könnte man freilich auch absichtlich etwas damit ausdrücken.
Viele Spekulationen und offene Fragen - während um die Wahrheit hinter verschlossenen Türen gerungen wird. Holger Sabinsky und Ulrich Willenberg
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