"Kulturkampf" zwischen USA und Frankreich entbrannt
Zwischen Frankreich und den USA ist ein neuer "Kulturkampf" entbrannt. Frankreichs Kulturschaffende heulen wutentbrannt auf.
Das US-Magazin "Time" hatte eine schwere Breitseite gegen die "Grande Nation" abgefeuert: Wo sind die Maler mit der Brillanz eines Claude Monet, die Schriftsteller mit der Wortgewalt eines Marcel Proust, Chansonsänger mit der Hingabe einer Édith Piaf oder Filmemacher mit der Vision eines François Truffaut? Die französischen Kulturikonen seien alle längst tot, bilanzierte das Magazin und begann damit den transatlantischen Krieg der Feuilletons. Präsident Nicolas Sarkozy wolle dem Land wieder Ansehen in der Welt verschaffen?, fragt "Time" spitz. Da werde er sich im Kulturbereich schwer tun.
Frankreichs Volksseele kocht. "Geht das schon wieder los", wettert Romanautor Maurice Druon, Mitglied der altehrwürdigen Académie Française. "Alle vier oder fünf Jahre überkommt die USA ein anti-französisches Fieber, das eins ihrer großen Medien dann der Welt mitteilt." Sogar die Pariser Regierung hat sich eingeschaltet: Die Behauptungen seien schlicht falsch, meint Kulturministerin Christine Albanel.
"Der Tod der französischen Kultur": So überschreibt "Time" die Titelgeschichte seiner europäischen Ausgabe (Montag). Und fordert die Leser auf, sich doch bitte schnell den Namen eines lebenden französischen Künstlers, Schriftstellers oder Pop-Stars von weltweitem Rang einfallen zu lassen, nach dem Motto: Fällt Ihnen keiner ein (außer Johnny Hallyday), dann sind Sie nicht alleine. Das Titelbild zeigt einen weißgeschminkten Clown mit Beret und Ringelhemd, der traurig auf die rote Blume in seinen Händen hinabblickt. Eine Anspielung auf den legendären, kürzlich gestorbenen Pantomimen Marcel Marceau.
Auf vier eng-bedruckten Seiten dann der Rundumschlag: Von Victor Hugo (1802-1885) bis Jean-Paul Sartre (1905-1980): Frühere Schriftsteller-Generationen hätten keinen Mangel an internationaler Aufmerksamkeit gehabt, schreibt "Time". Heute finde nur ein gutes Dutzend der neuen Romane einen Verleger im Ausland. Etwa 30 Prozent der in Frankreich verkauften Romane seien aus dem Englischen übersetzt, die Hälfte der Kinobesucher sehe amerikanische Produktionen. Die Pariser Künstlerszene, einst Geburtsstätte so bedeutender Strömungen wie dem Impressionismus oder Surrealismus, sei längst überholt von London oder New York. Zwar habe das Land durchaus Komponisten und Dirigenten von internationalem Rénommée vorzuweisen - kein Vergleich aber mit "Giganten" wie Claude Debussy (1862-1918).
Der "Niedergang" der französischen Kultur wäre wohl kaum von großem Interesse, schreibt "Time" - wäre Frankreich nicht Frankreich. Hier wird Kulturförderung groß geschrieben. 1,5 Prozent der Wirtschaftsleistung des Landes gibt die Regierung jährlich aus, mehr als das Doppelte im Vergleich zu Deutschland. Gut 40 Prozent der Shows und Musik in Funk und Fernsehen müssen aus französischer Produktion stammen. Gerade darin könnte Kritikern zufolge das Problem liegen. Eine derartige Subventionspolitik ersticke private Initiativen, sagt Ex-Kulturattaché Frédéric Martel. "Wenn das Kulturministerium nirgendwo mehr zu finden ist, dann haben wir überall kulturelles Leben."
Von der linken "Libération" bis hin zum regierungsnahen "Le Figaro": In Frankreichs Blätterwald rauscht es. "Ein eilfertiges Urteil, mehr nostalgisch als wirklich objektiv", schimpft "Le Figaro" (Dienstag) in einer seitenlangen Retourkutsche. Auch in Übersee verkaufe sich französische Kultur gut, von der Opernsängerin Natalie Dessay bis hin zum Daft Punk von Bands wie Air. Erfolge feiern insbesondere Frankreichs Architekten wie Jean Nouvel oder Christian de Portzamparc. Die "Attacke" sei perfide, sagt Druon. Der Wert von Kultur messe sich nicht anhand der wöchentlichen Hitparade. Der Artikel wäre nur "frech", schreibt "Libération", träfe er nicht teilweise einige wunde Punkte. Etwa, dass das Land in einer "gewissen Nabelschau" versinke, während die Welt sich immer schneller dreht.
Doch für "Time" ist Rettung nah. So scheine Sarkozy mit der Ernennung von Albanel als Ressortleiterin Privatinitiativen im Kultursektor vorantreiben zu wollen. Als Präsidentin des Museums und der Domäne des Schlosses von Versailles hatte Albanel sehr auf Partnerschaften mit der Wirtschaft gesetzt. Dass sie dies als Kulturministerin fortsetzen könnte, wird in Frankreich allerdings höchst kontrovers diskutiert. Und noch einen Hoffnungsschimmer sieht "Time": Frankreichs "wütende, ambitionierte Minderheiten" seien kreative Kulturschaffende. "Frankreich war schon immer ein Land, wo die Menschen von überall herkommen und sofort anfangen konnten, zu malen und zu schreiben - auf Französisch, oder auch nicht", sagt Regisseurin und "Persepolis"-Zeichnerin Marjane Satrapi.
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