Gericht spricht ehemalige KZ-Sekretärin schuldig
Irmgard F. nahm 1943 eine Stelle im KZ Stutthof an und erledigte dort Schreibarbeiten. Nun entschied ein Gericht, dass sie sich der Beihilfe zum Mord schuldig gemacht hat.
Schuldig der Beihilfe zum heimtückischen und grausamen Mord in mehr als 10.000 Fällen: So lautet der Urteilsspruch gegen die 97 Jahre alte Irmgard F., eine frühere Sekretärin im KZ Stutthof. Nach 40 Verhandlungstagen verkündete das Landgericht Itzehoe am Dienstagvormittag das Urteil. Irmgard F. erhält eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren, die auf Bewährung ausgesetzt wird. Die Verteidigung hatte Freispruch gefordert. Der Prozess lief vor einer Jugendkammer, weil sie zur Tatzeit erst 18 bis 19 Jahre alt war.
Von Juni 1943 bis April 1945 soll die Angeklagte als Zivilangestellte in der Kommandantur von Stutthof bei Danzig gearbeitet und damit den Verantwortlichen des Konzentrationslagers bei der systematischen Tötung von Inhaftierten Hilfe geleistet haben. Irmgard F. sorgte nach Überzeugung der Anklage mit ihrer Schreibarbeit dafür, dass der Lagerablauf aufrechterhalten werden konnte. Sie sei durch ihre Arbeitsbereitschaft eine wichtige Unterstützung des Lagerkommandanten und seiner Adjutanten gewesen.
Prozess gegen ehemalige KZ-Sekretärin: Acht Nebenkläger angehört
Das Gericht hatte seit Beginn des Prozesses am 30. September acht der zeitweise 31 Nebenkläger angehört, meist über eine Videoverbindung in die USA, nach Israel oder Polen. Sie berichteten vom Leiden und massenhaften Sterben in Stutthof. Wichtigster Zeuge war jedoch der historische Sachverständige Stefan Hördler, der sein Gutachten in 14 Sitzungen vorstellte. Die Verteidigung stellte einen Befangenheitsantrag gegen ihn, den das Gericht aber ablehnte.
Die Angeklagte wollte sich dem Verfahren anfangs nicht stellen. Am ersten Verhandlungstag verschwand sie frühmorgens aus ihrem Seniorenheim in Quickborn (Kreis Pinneberg). Stunden später griff die Polizei sie auf einer Straße in Hamburg auf. Das Gericht erließ einen Haftbefehl und die damals 96-Jährige verbrachte fünf Tage in Untersuchungshaft. Danach musste sie wochenlang ein elektronisches Armband tragen.
Irmgard F. wirkte vor Gericht rüstig und deutlich jünger. Obwohl die Nebenklagevertreter sie immer wieder dazu aufforderten, äußerte sie sich lange nicht zu den Vorwürfen. Erst am 40. Verhandlungstag brach sie ihr Schweigen. "Es tut mir leid, was alles geschehen ist", sagte sie in ihrem letzten Wort. Die 97-Jährige fügte hinzu: "Ich bereue, dass ich zu der Zeit gerade in Stutthof war. Mehr kann ich nicht sagen."
Wohl letzter Prozess in Deutschland wegen NS-Verbrechen
Es könnte sich um den letzten Prozess in Deutschland wegen NS-Verbrechen gehandelt haben. Ende Juni 2022 hatte das Landgericht Neuruppin einen ehemaligen Wachmann des KZ Sachsenhausen wegen Beihilfe zum Mord an tausenden Häftlingen zu fünf Jahren Haft verurteilt. Fünf weitere Ermittlungsverfahren gegen mutmaßliche NS-Täter sind nach Angaben der Zentralstelle in Ludwigsburg (Baden-Württemberg) bei den Staatsanwaltschaften anhängig, davon jeweils eines bei den Behörden in Erfurt, Coburg und Hamburg sowie zwei in Neuruppin.
Die Justiz muss in diesen Fällen ermitteln, weil es um Beihilfe zum Mord geht. 1979 hatte der Bundestag die Verjährung von Mord und Beihilfe zum Mord endgültig aufgehoben. Das bedeutet, dass sich Tatverdächtige bei Verhandlungsfähigkeit bis ins hohe Alter einem Verfahren stellen müssen. (mit dpa)