Deutscher in Afghanistan entführt
In Afghanistan ist laut Auswärtigem Amt ein Deutscher entführt worden. Er wird seit knapp einer Woche vermisst.
Kabul/Berlin (dpa) - Erstmals seit dem Sturz der Taliban Ende 2001 ist in Afghanistan ein deutscher Staatsbürger entführt worden. Der Mann wird nach Angaben des Auswärtigen Amtes in Berlin seit vergangenem Donnerstag vermisst.
"Wir haben nach den uns vorliegenden Hinweisen von einer Entführung auszugehen", sagte Sprecher Martin Jäger am Mittwoch. Der Deutsche sei weder im Regierungsauftrag unterwegs noch für eine deutsche Hilfsorganisation tätig gewesen. Auch handele es sich nicht um einen Journalisten. Die afghanischen Behörden teilten am Mittwoch mit, die Geisel sei am Leben.
Der Polizeichef der südwestafghanischen Provinz Farah, Abdul Rahman Sarjang, sagte der Deutschen Presse-Agentur dpa, der Mann und sein afghanischer Übersetzer würden in einem Dorf im Bezirk Delaram von Unbekannten festgehalten. Am Donnerstagmorgen sei ein Gespräch mit einem Vertreter der Entführer über Lösegeldforderungen und die Freilassung der Geiseln geplant, bei dem Dorfbewohner vermitteln sollten. Auch der Gouverneur der südwestafghanischen Provinz Nimroz bestätigte die Entführung des Deutschen. Gouverneur Gholum Dastagir Azad sagte der dpa, es sei unklar, ob es sich bei den Tätern um Taliban oder Kriminelle handele. Zuletzt sei der Deutsche in Delaram in einem Restaurant auf einem kleinen Markt gesehen worden. Er sei am späten Abend gegen 23.00 Uhr Ortszeit entführt worden. Delaram gehörte bis vor wenigen Monaten zu Nimroz, wird inzwischen aber von Farah verwaltet. Beide Provinzen grenzen an den Iran.
Auch aus Sicherheitskreisen hieß es, der Mann sei in Delaram verschleppt worden. Nach unbestätigten Berichten sei der Bundesbürger auf der Ringstraße nach Herat im Westen des Landes unterwegs gewesen. Außenamtssprecher Jäger wollte zum Tatort keine konkreten Angaben machen. Allerdings sei der Mann nicht im Norden Afghanistans verschwunden, wo die Bundeswehr ihren Einsatzschwerpunkt hat.
Ein Sprecher des Innenministeriums in Kabul konnte eine Entführung eines Deutschen in Afghanistan zunächst nicht bestätigen. Die radikal-islamischen Taliban, die in der Vergangenheit mehrere westliche Ausländer verschleppten, äußerten sich auf Anfrage zunächst nicht.
Es ist derzeit der zweite Entführungsfall, mit dem sich der Krisenstab des Auswärtigen Amts befassen muss: Seit Februar laufen intensive Bemühungen um eine Freilassung von zwei im Irak entführten Deutschen. Anfang April waren in der Provinz Nimroz zwei französische Mitarbeiter einer Hilfsorganisation von den Taliban entführt worden. Die Rebellen ließen sie nach wochenlangen Verhandlungen unversehrt frei.
In Afghanistan wurden Deutsche in den vergangenen Jahren dagegen nicht entführt. Im März hatten bewaffnete Räuber im Norden des Landes aber einen deutschen Mitarbeiter der Welthungerhilfe erschossen. Im Oktober 2006 hatten Unbekannte eine Journalistin und einen Techniker der Deutschen Welle erschossen, die in Nordafghanistan in einem Zelt am Straßenrand übernachtet hatten.
Nach der jüngsten Entführung verstärkt sich in der Bundesrepublik die Debatte über das bisherige deutsche Engagement in Afghanistan. Bei den Sozialdemokraten mehren sich die Stimmen, die für deutliche Korrekturen an der militärischen Befriedung und beim zivilen Wiederaufbau des Landes plädieren. Eine Arbeitsgruppe der SPD- Bundestagsfraktion sprach sich auch für Änderungen an den bisherigen Einsätzen der Bundeswehr aus.
In Frage gestellt wird insbesondere die weitere Bereitstellung des Kommandos Spezialkräfte (KSK) im Rahmen der Anti-Terror-Operation Enduring Freedom (OEF). Geprüft werden müsse, ob der Bundestag einen neuen "Vorratsbeschluss" für diese 100 Elite-Soldaten fassen solle, heißt es in dem am Mittwoch vorgelegten Bericht, über den die Fraktion in einer Sondersitzung beraten wollte.
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