Nach IS-Attentat ist Paris bereit, ein Tabu zu brechen
Ein nationale Trauerfeiern soll den Opfern des IS-Attentats gedenken. Warum die Regierung nach dem Anschlag bereit ist, ein Tabu zu brechen.
An diesem Pariser Herbsttag kommen die Farben Blau, Weiß, Rot besonders zur Geltung. Im grauen Nebel vor ansatzlosem Himmel stechen die Farben der französischen Nationalfahne am Freitag sofort ins Auge, auch an den Sandsteinfassaden der sonst so imposanten Häuser der Hauptstadt. Ein Fahnenmeer, wie es sich Präsident François Hollande erhofft hatte, ist es zwar nicht geworden, doch haben viele Menschen in Paris und anderen Städten die „drapeau tricolore“ an ihre Fenster drapiert, vor Balkone gebunden, an Fassaden gehängt.
Nach Anschlägen in Paris fühlt sich eine ganze Nation bedroht
Mit einer nationalen Trauerfeier verabschiedet sich Frankreich an diesem Tag von den jüngsten Opfern des Terrors, der das Land seit den Anschlägen auf das Satiremagazin Charlie Hebdo im Atem hält. Doch während im Januar noch Meinungsfreiheit und das jüdische Frankreich als Werte im Mittelpunkt standen, die vor dem islamistischen Terror zu schützen sind, sieht sich nach den Anschlägen vom 13. November eine ganze Generation angegriffen und in ihrem Lebensgefühl bedroht.
Es gibt auch 14 Tage nach den jüngsten Anschlägen noch Menschen, die ihre Wohnung am liebsten nicht verlassen wollen, sich kaum nach draußen wagen, für die ein Glas Wein vor einer der unzähligen Bars derzeit undenkbar scheint. Ein Tisch vor Kneipen und Restaurants, „être en terrasse“, ist für die meisten Menschen in Paris sonst fester Bestandteil des Lebens – im Winter werden dafür ganze Straßenzüge der einschlägigen Viertel von Heizstrahlern erwärmt.
Doch Präsident Hollande zeigt sich während der Trauerfeier zuversichtlich: „Die junge Generation wurde getroffen, aber sie hat keine Angst.“ Diese Generation werde leben und das Gesicht Frankreichs von morgen prägen. „Sie wird im Namen der Toten leben, um die wir heute weinen.“ Die Trauerfeier im Ehrenhof neben dem Invalidendom ist schlicht gehalten und wirkt noch stiller als die nach den Anschlägen vom Januar. Die Marseillaise, die in diesen Tagen häufig und an allen erdenklichen Orten zu hörende Nationalhymne der Franzosen, erklingt gleich zweimal. Dezent zur Ankunft des Präsidenten, kraftvoll von einem Chor begleitet zum Ende der knapp einstündigen Zeremonie. Die bewegendsten Momente sind die ruhigsten: Nur von leiser Musik begleitet erscheinen auf einer großen Leinwand Fotos der 130 Todesopfer. Später werden auch ihre Namen verlesen und ihr Alter. Die meisten Opfer waren nicht mal 35 Jahre alt.
Die Regierung war bereit, ein Tapu zu brechen
Kurz zuvor leitete Hollande einen Kurswechsel ein: Der Schlag war derart brutal, dass die Regierung bereit ist, Tabus zu brechen, wie es eine Zusammenarbeit mit dem Regime von Baschar al-Assad bislang darstellte. Außenminister Laurent Fabius stellte erstmals eine Einbeziehung syrischer Regierungstruppen im Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat in Aussicht. Das war vor der Terror-Nacht des 13. November undenkbar.
Denn Paris gehörte bislang zu den schärfsten Verfechtern eines im Zweifelsfall auch gewaltsamen Abgangs von al-Assad. So wie der damalige französische Präsident Nicolas Sarkozy 2011 den entscheidenden Impuls für den Angriff auf das Regime von Muammar al-Gaddafi in Libyen gab, so trat auch Sarkozys Nachfolger François Hollande 2013 für militärische Schläge gegen al-Assad ein. Doch eine internationale Koalition kam nicht zustande, da US-Präsident Obama letztlich nicht dazu bereit war. Auch der britische Premier David Cameron wurde von seinem Parlament ausgebremst.
Der Kurswechsel ist das Ergebnis des diplomatischen Marathons von Hollande, der in dieser Woche nacheinander die Staats- und Regierungschefs Großbritanniens, der USA, Deutschlands, Italiens und Russlands traf. Nicht zufällig kündigte Fabius eine mögliche Kooperation mit den syrischen Streitkräften am Tag nach der Begegnung Hollandes mit Wladimir Putin an. Der Kremlchef sicherte nach dem Treffen im Gegenzug zu, die gemäßigte syrische Opposition nun schonen zu wollen. (mit dpa)
Die Diskussion ist geschlossen.