Generalanwalt: Deutsche Sozialhilfe muss auch EU-Bürgern offenstehen
Der europäische Generalanwalt rügt die bisherige deutsche Praxis, mit der Sozialleistungen an EU-Bürger vergeben werden. Ein Urteil könnte die Vorschriften in Deutschland ändern.
Deutschland darf EU-Ausländer, die weniger als drei Monate im Land leben, nicht pauschal von Sozialleistungen ausschließen. Dies hat der Generalanwalt beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg, Melchior Wathelet, in einem Gutachten für ein laufendes Verfahren gegen die Bundesrepublik am Donnerstag festgestellt. Damit dürfte die Praxis der hiesigen Behörden in Zukunft in Frage stehen.
Denn auch wenn das Urteil der Richter erst in einigen Wochen erwartet wird, so gelten die Ausarbeitungen der EuGH-Generalanwälte doch in der Mehrzahl der Fälle als Richtschnur für den abschließenden Spruch.
Jobcenter stellt Zahlungen gegen EU-Bürgerin ein
Auslöser ist der Fall einer Bosnierin, deren drei Kinder in Deutschland geboren wurden. Die Familie zog zeitweise nach Schweden, wo alle die dortige Staatsangehörigkeit annahmen. Später kehrte die Frau mit beiden Töchtern und einem Sohn aber wieder zurück. Sowohl die Mutter wie auch die älteste Tochter nahmen mehrfach kurzfristige Arbeitsverhältnisse auf. In der Zwischenzeit suchten sie weiter nach neuen Tätigkeiten. Als dies erfolglos blieb, genehmigte das Jobcenter im Berliner Neukölln zunächst Hartz IV, stellte die Zahlungen aber nach einigen Monaten ein.
Der Europäische Gerichtshof prüft die deutschen Vorschriften
Die Lage wurde noch dadurch verschärft, dass auch die Leistungen für die beiden jüngsten Kinder gestoppt wurden, obwohl diese in Deutschland zur Schule gingen. Nach Auffassung des Generalanwaltes darf ein Staat durchaus unter Bezug auf die europäische Richtlinie zur Unionsbürgerschaft die Zahlung von Hartz IV in den ersten drei Monaten nach der Einreise verweigern. Allerdings müsse, anders als in Deutschland vorgesehen, jeder Fall einzeln geprüft werden.
So hätte das Jobcenter beispielsweise feststellen müssen, ob die Mutter und ihre Kinder inzwischen eine Verbindung mit dem Aufnahmeland Deutschland eingegangen sind, was nach Auffassung des Generalanwaltes durchaus so war. Schließlich hätten die beiden Jüngsten ordnungsgemäß den Unterricht besucht, während die Mutter und die älteste Tochter sich um Arbeit bemühten. In diesem Fall seien Sozialleistungen nicht allein dazu da, einen Aufenthalt zum Zweck der Arbeitssuche zu finanzieren, sondern auch um die Existenz der Familie zu sichern.
Sollten die EuGH-Richter diesem Standpunkt folgen, müsste das Bundessozialgericht, vor dem die Klage gegen das Jobcenter verhandelt wird, die Situation der Beteiligten noch einmal prüfen und dann entscheiden. Deutschland müsste dann wohl seine Vorschriften ändern. Bisher waren hierzulande EU-Ausländer generell und ohne Ausnahme vom Bezug der Sozialleistungen ausgeschlossen.
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