Glosse: Riesensauerei, Abzocke - Warum wir uns so über das Porto aufregen
Der Standardbrief der Deutschen Post kostet künftig 80 statt 70 Cent, also zehn Cent mehr. Eine Lappalie? Von wegen!
Auf der Liste der Dinge, über die sich der Deutsche verlässlich leidenschaftlich aufregt, steht das Briefporto ziemlich weit oben. Irgendwo zwischen dem Sommer (zu heiß oder zu kalt), den Spritpreisen (immer zu Ferienbeginn total hoch), der Aufstellung der Fußball-Nationalelf (der Jogi gehört jetzt auch mal weg) und natürlich der Bundesregierung (die machen doch eh, was sie wollen) gehört die traditionelle Erhöhung der Versandgebühr für einen Standardbrief zu den stärksten Blutdruckerhöhern der Republik.
Zum 1. Juli also wieder unglaubliche 10 Cent mehr. In Worten: zehn Cent! Pro Brief! Riesenschweinerei, Abzocke, aber mit mit uns kann man es ja machen!
Liegt es daran, dass die Post mal ein Staatskonzern war?
Angesichts der allgemeinen Preissteigerungen im täglichen Leben – sagen wir mal für Lebensmittel, Busfahrkarten oder Mieten – scheinen die paar Cent eigentlich eine Lappalie zu sein. Zumal wir doch sowieso immer weniger Briefe verschicken. Privatpost macht nur noch einen Anteil von 13 Prozent aller Sendungen aus. Im vergangenen Jahr haben die Damen und Herren in Gelb zwar immerhin noch rund eine Milliarde private Briefe und Karten zugestellt – das war aber ein Drittel weniger als noch vor zehn Jahren.
Bedeutet: Der deutsche Durchschnittshaushalt gibt monatlich ungefähr 2,34 Euro für Briefmarken aus. Dafür kriegt man im Café um die Ecke nur mit viel Glück einen Cappuccino. Nebenbei bemerkt: Ist es nicht wunderbar, dass das Statistische Bundesamt solche Dinge für uns ausrechnet? Aber zurück zum Thema: Woher kommt denn nun diese kollektive Volksempörung? Stefan Schulz-Hardt sucht die Antwort in der Vergangenheit der Deutschen Post als Staatskonzern. Er ist Professor für Wirtschafts- und Sozialpsychologie und sagt: „Im Verbund mit anderen Preiserhöhungen wie etwa bei der Bahn sowie Steuerlasten, die als zu hoch empfunden werden, stellt sich so leicht beim Bürger das Gefühl ein, der Staat schröpfe ihn und ziehe diese Schraube immer weiter an.“
Portoerhöhung: Der nächste Aufschrei kommt bestimmt
Ein weiterer Grund für das überproportional hohe Erregungspotenzial: Portogebühren werden fast immer bar bezahlt und nicht automatisch vom Konto abgebucht, wie etwa Stromkosten, bei denen viele Kunden gar nicht so richtig merken, wenn der Tarif mal wieder erhöht wurde. Und überhaupt – bei kleinen Summen fällt die Steigerung ja sowieso mehr ins Gewicht.
Ab Juli also 80 Cent. Vorerst. Denn die nächste Erhöhung kommt bestimmt. Und der Aufschrei auch. Dafür geben wir schon heute Brief und Siegel.
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