Intensivmediziner Marx: "Wichtig, dass wir noch drei Wochen durchhalten"
Der Präsident der Intensivmediziner-Vereinigung DIVI, Gernot Marx, erklärt im Interview, warum eine Verlängerung des Lockdowns nicht nur für die Kliniken wichtig ist.
Herr Professor Marx Ihre Vereinigung der Intensiv- und Notfallmediziner fordert einen Lockdown bis 1. April, weil laut Ihren Computersimulationen wegen der grassierenden britischen Coronavirus-Mutation bei schnellen Lockerungen bis zu 25.000 Intensivpatienten drohen. Was muss sich ändern, dass es an Ostern besser aussieht?
Gernot Marx: Wir brauchen einen Dreiklang aus strikter Kontrolle des Virus, deutlich intensiverem Impfen und einem ständigen Blick darauf, wie sich die Ansteckungshäufigkeit beim sogenannten R-Wert entwickelt. Wir müssen mit der Impfwelle vor die Infektionsquelle kommen. Nach unserem Berechnungsmodell könnte man in drei Wochen mehr lockern als jetzt, weil dann bereits deutlich mehr Risikopatienten geimpft sein werden und wir damit weniger Covid-19-Intensivpatienten befürchten müssen. Diese Entwicklung wird sich im April fortsetzen, weil dann deutlich mehr Impfungen möglich sein werden. Auf der einen Seite erwarten wir die Zulassung weiterer Impfstoffkandidaten, auf der anderen Seite wird die Produktion in Deutschland deutlich erweitert, wenn die neue Fabrik von Biontech in Marburg richtig anläuft.
Wäre eine Öffnung Anfang April für die Intensivstationen beherrschbar?
Marx: Es ist wichtig, dass wir noch drei Wochen durchhalten, weil wir durch das Impfen vieler Menschen trotz der Virusmutationen eine dritte Welle deutlich abflachen können. Wir gewinnen dadurch wertvolle Zeit. Wer geimpft ist, kommt nicht auf die Intensivstation. Selbst wenn im Worst-Case-Szenario der R-Wert im April wie im Oktober für die Ursprungsvariante des Corona-Virus wieder auf 1,2 steigen würde, könnten wir dann die erwartbar hohe Zahl von 5.000 Intensivpatienten mit COVID-19 meistern. Denn durch die dann bereits gesteigerte Anzahl der Impfungen sinkt die Zahl der schweren Krankheitsverläufe deutlich – bis Ende des dritten Quartals die Pandemie hoffentlich bewältigt ist.
Wie ist derzeit die Lage auf den Intensivstationen?
Marx: Die Anzahl der Covid-19-Patienten ist deutlich zurückgegangen, wir sind aber immer noch dort, wo wir auf dem Höhepunkt der ersten Welle waren. Die jetzt frei werden Intensivkapazitäten werden nun vermehrt für die Patienten verwendet, deren Operationen aufgeschoben werden konnten. Aber zum Beispiel kann man solche geplanten Herzoperationen und Tumoroperationen nicht endlos verschieben. Im Vergleich dazu ist die Behandlung von Covid-Patienten angesichts der umfangreichen Schutzmaßnahmen eine außergewöhnliche Belastung für alle, die im Intensivbereich arbeiten.
Derzeit wird fast ein Drittel der Intensivbetten frei, weil die Patienten die Corona-Erkrankung nicht überleben. Wie wirkt sich das auf Ihre Kollegen aus?
Marx: Die Sterberate von Covid-19-Patienten ist ungewöhnlich hoch. In der ersten Welle sind über 50 Prozent der beatmeten Patienten verstorben. Natürlich belastet das. Wir sehen in unseren Teams, dass die Kollegen nach einem Jahr Pandemie deutlich erschöpft sind, sowohl physisch als auch emotional und psychisch. Das gilt für alle Berufsgruppen, Pfleger, Intensivmediziner, Physiotherapeuten. Hier müssen wir uns um die vielen Menschen, die mit hohem Engagement diesen Job machen, kümmern, damit diese Experten weiter ihren Beruf gut und gerne ausüben können. Neben den Patienten ist das eine unserer größten Sorgen. Wir sind deshalb sehr dankbar, dass sich die übergroße Mehrheit der Menschen nach wie vor extrem diszipliniert in der Pandemie verhält, auch wenn das immer schwerer fällt.
Was erwarten Sie von der Politik? Befürchten Sie zu starke Lockerungen?
Marx: Unsere politisch Verantwortlichen haben immer früh genug gehandelt. Auch Ende letzten Jahres als man auf das exponentielle Wachstum erst mit einem Lockdown light reagiert hat. Als man gesehen hat, dass diese Regeln nicht ausgereicht haben, hat man im Dezember die Maßnahmen verschärft. Und auch in der ersten Welle hat man sehr frühzeitig reagiert, das hat uns extrem viel geholfen und erspart. Danach waren im Sommer viele Lockerungen möglich. Das wünschen wir uns auch im Jahr zwei der Pandemie. Wir haben aber in Frankreich, Irland, Großbritannien oder Portugal gesehen, dass die Virus-Mutationen sehr schnell zu einem exponentiellen Schub der Infektionszahlen führen und damit auch zu einer Zunahme der Intensivpatienten.
Aber Sie bauen auf eine Verlängerung des Lockdowns?
Marx: Aus Sicht der Intensivmediziner hoffen wir auf noch ein bisschen Zeitgewinn, um die Risikogruppen in den nächsten Wochen impfen zu können. Wir hoffen, dass die Politik hier eine sensible Entscheidung trifft. Unsere Position ist klar, den Lockdown bis 1. April zu verlängern. Aus anderen Interessenslagern gibt es andere Forderungen. Letztendlich müssen die politisch Verantwortlichen die beste Entscheidung für das Land treffen. Wir vertrauen darauf, dass egal wie die Entscheidung ausfällt, man die Konsequenzen im Blick hält und man entsprechend auch Beschlüsse revidieren wird.
Zur Person: Gernot Marx, 55, ist Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmediziner. Der Medizinprofessor arbeitet an der Uniklinik Aachen.
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Ich habe eigentlich die Forderung nach Deutsch-Kursen erwartet, damit die „Patienten mit Kommunikationsbarriere“ weniger werden ;-)