
Kandidat für SPD-Vorsitz Michael Roth: Emotional "fertig mit der GroKo"


Exklusiv Michael Roth will mit Christina Kampmann SPD-Chef werden. Das Duo gilt als Überraschungsfavorit. Er erklärt, wie er seine Partei retten.
Herr Roth, haben Sie sich schon von den 23 Regionalkonferenzen der SPD erholt?
Michael Roth: Auch wenn es anstrengend war, hat uns jede Veranstaltung neue Energie gegeben. Wer Parteivorsitzender werden will, muss das aushalten können. Uns war klar, dass dieses aufwendige Verfahren notwendig ist, um möglichst vielen Mitgliedern die Chance zu geben, sich ein Bild von den Kandidierenden zu machen. Es geht schließlich um einen Neustart. Aber die eigentliche Bewährungsprobe wartet ja erst, wenn das neue Führungsduo dann tatsächlich gewählt ist.
Viele werten Sie und Ihre Partnerin Christina Kampmann als das Überraschungspaar des SPD-Castings. Welche Chancen rechnen Sie sich aus?
Roth: Hätten wir uns keine Chancen ausgerechnet, wären wir nicht angetreten. Wir hatten von Beginn an das Gefühl, dass wir der Partei als Team ein spannendes personelles und inhaltliches Angebot machen können. Viele sehen in uns die Chance für einen echten Aufbruch, aber natürlich geht das nicht ohne Erfahrung. Ohne das, was hinter mir liegt an Ämtern und Aufgaben, hätte ich mir das nicht zugetraut. Das gilt sicher auch für Christina.
Was ist Ihre zentrale Erkenntnis aus dem Bewerber-Marathon?
Roth: Drei Fragen waren bei aller Unterschiedlichkeit der Konferenzen prägend. Wie entwickelt sich die SPD inhaltlich weiter? Wie wollen wir die Partei strukturell reformieren? Und mit welcher Grundhaltung und Führungskultur geht die SPD in die Zukunft? Da geht es darum, wie wir es schaffen, wieder anständig und solidarisch miteinander umzugehen. Der respektlose Umgang, der ständig nach außen getragene Zwist, die Konflikte, die zum Rücktritt von Andrea Nahles führten, haben viele Mitglieder verunsichert, ja fassungslos gemacht. Diese Fragen zusammenzubringen, ist zentrale Aufgabe des neuen Führungsduos.
Was würde sich bei der SPD also unter Führung von Michael Roth und Christina Kampmann konkret ändern?
Roth: Wir werden uns sicher nicht im Willy-Brandt-Haus verschanzen. Wir wollen vor Ort sein – vor allem dort, wo die SPD einen schweren Stand hat. Nicht nur in Ostdeutschland erleben wir derzeit eine Krise der Demokratie. Als Vorsitzende wollen Christina Kampmann und ich der Partei Führung und Orientierung bieten – aber eben ohne Basta. Nicht jeder inhaltliche Streit ist gleich eine Machtfrage. Wir wollen mit Mut und Zuversicht nach vorne schauen. Und wir werden viel Zeit darauf verwenden, diejenigen zurückzugewinnen, die sich von uns abgewendet haben – in der jungen Generation, der Kultur- und Kreativszene und den neuen sozialen und ökologischen Bewegungen.
Ärgert es Sie, wenn Ihr Duo mit der Grünen-Doppelspitze Annalena Baerbock und Robert Habeck verglichen wird? Die Optik und das Auftreten stimmen, die Inhalte bleiben vage?
Roth: Wir sind zwei Originale, wir kopieren niemanden. Aber dahinter steht ja auch ein erfolgreiches Politikkonzept. In Zeiten, wo Politik wahnsinnig kompliziert geworden ist, suchen viele Menschen nach Politikerinnen und Politikern, die ihre Sprache sprechen und denen sie vertrauen können. Es gibt eine von vielen unterschätzte Frage in der Politik: Möchte man sich mit denen mal auf ein Bier oder einen Kaffee treffen? Wem diese Frage zu unpolitisch ist, der hat Politik nicht verstanden. Wären wir aber nur eine leere Hülle, ohne Inhalte und Statur, dann würde das nicht reichen. Die SPD war immer eine Programmpartei, das soll auch so bleiben. Inhalte und Verpackung müssen zusammenpassen. Das ist bei uns der Fall.
Würden Sie als Vorsitzender die SPD sofort aus der GroKo führen?
Roth: Darüber entscheiden wir ja nicht alleine, sondern der Parteitag im Dezember.
Warum nicht die Mitglieder, die sich ja auch zu zwei Dritteln für die Koalition ausgesprochen haben?
Roth: Wir hätten uns das vorstellen können. Aber eine weitere Mitgliederbefragung kann die SPD schon aus finanziellen Gründen nicht schultern. Deswegen haben Christina Kampmann und ich uns auch entschieden, dem Rat der kommissarischen Parteiführung zu folgen und zu sagen, das bekommen wir jetzt nicht hin. Lasst es uns auf einem Parteitag entscheiden.
Aber vielleicht ist an der Basis der Wunsch nach dem GroKo-Ende nicht so stark wie in manchen Parteizirkeln...
Roth: Emotional sind wir doch längst fertig mit der GroKo. Wir wissen doch alle, dass wir da raus müssen. Die GroKo ist ein Modell des Übergangs und wird auslaufen – spätestens 2021.
Warum legen Sie sich dann nicht auf einen schnellen Ausstieg fest?
Roth: Trotz allem haben wir ja einen Auftrag für die gesamte Wahlperiode bekommen. Partei und Fraktion haben aus guten Gründen eine Halbzeitbilanz vereinbart. Dem fühlen wir uns verpflichtet. Dabei dürfen wir aber nicht nur buchhalterisch abhaken, was bereits erreicht wurde. Wir müssen auch ausloten, welche Projekte mit der Union noch umzusetzen sind.
Unter welchen Bedingungen wären Sie also für eine Fortsetzung der GroKo?
Roth: Es muss Fortschritte in der Europapolitik geben, die Grundrente muss kommen, der Kampf gegen Kinderarmut muss verstärkt werden und natürlich brauchen wir auch ein ambitioniertes Klimaschutzgesetz. Wir müssen sehen, wie weit sich CDU und CSU bewegen.
Könnte sich der Abwärtstrend der SPD nach einem Ausstieg aus der GroKo nicht noch beschleunigen?
Roth: Opposition ist ja keine Rehamaßnahme. Als Oppositionspartei, eingeklemmt zwischen den radikalen Positionen von AfD und Linkspartei, würde sich wohl kaum noch jemand für unser Grundrentenkonzept interessieren. Damit müssten wir dann klarkommen. Die Hoffnung, dass wir in der Opposition automatisch stärker werden, teile ich nicht. Und eine schwache SPD, die derzeit in Umfragen bei 15 Prozent steht, ist ja auch kein attraktiver Partner für die Grünen oder die Linke. Wir sollten uns als SPD nicht über Bündnisse definieren, sondern über eigene Stärke.
Trotz der Schwäche der SPD diskutieren manche Ihrer Parteifreunde schon darüber, wer der nächste Kanzlerkandidat werden könnte...
Roth: Wenn wir derzeit über die Kanzlerfrage reden, geben wir uns doch der Lächerlichkeit preis. Wir wollen die SPD wieder so stark machen, dass wir diesen Führungsanspruch selbstbewusst formulieren können. Aber jetzt entscheiden wir über den Vorsitz, nicht über die Kanzlerkandidatur. Das ist eine absurde Scheindebatte, die da manche aufführen.
Zur Person: Michael Roth ist seit 2013 Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt. Der 48 Jahre alte Hesse bewirbt sich mit der ehemaligen nordrhein-westfälischen Familienministerin Christina Kampmann, 38, als Duo um den SPD-Vorsitz.
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