Erdogan vor dem Sprung ins Präsidentenamt
Der türkische Regierungs-Chef Recep Tayyip Erdogan gilt als klarer Favorit bei den ersten Direktwahlen des türkischen Präsidenten. Sein Rivale beklagt einen "unfairen Wahlkampf".
Zum ersten Mal in der Geschichte des Landes konnte in der Türkei per Direktwahl über den künftigen Präsidenten abgestimmt werden. Drei Kandidaten standen den 53 Millionen Stimmberechtigten zur Auswahl, wobei der bisherige islamisch-konservative Regierungschef Recep Tayyip Erdogan als haushoher Favorit für das fünfjährige Mandat galt. Sein Hauptrivale Ekmeleddin Ihsanoglu beschwerte sich noch vor Bekanntgabe des Ergebnisses über einen "unfairen" Wahlkampf.
Prognose: Erdogan könnte mehr als 50 Prozent der Stimmen erhalten
Letzten Umfragen zufolge konnte Erdogan damit rechnen, schon im ersten Durchgang mit einem Stimmenanteil von deutlich mehr als 50 Prozent gewählt zu werden. Erhält kein Kandidat die absolute Mehrheit, ist für den 24. August eine Stichwahl angesetzt. Die Stimmabgabe war am Sonntag bis 17.00 Uhr Ortszeit (16.00 Uhr MESZ) möglich, mit ersten Ergebnissen wurde am Abend gerechnet.
Es war das erste Mal, dass der türkische Staatspräsident direkt vom Volk gewählt wurde und nicht vom Parlament. Obwohl Erdogans stärkstem Widersacher kaum Gewinnchancen eingeräumt wurden, gab sich der von den größten Oppositionsparteien nominierte Historiker Ihsanoglu siegesgewiss: "Heute werden die schweigenden Massen erhört, und wir werden locker im ersten Durchgang gewinnen", sagte er bei seiner Stimmabgabe in Istanbul. Der zur kurdischen Minderheit gehörende Kandidat Selahattin Demirtas galt als chancenlos.
Unfairer Wahlkampf? Erdogan-Gegner kritisieren Millionen-Budget
"Es war ein unfairer, unausgewogener Wahlkampf", klagte Ihsanoglu am Sonntag. Eine Begründung für diesen Vorwurf lieferte er zwar nicht mit, doch ist bekannt, dass Erdogan viele Millionen in seine Kampagne investieren konnte. Im Fernsehen galt dem starken Mann der Türkei die meiste Aufmerksamkeit, sein Gesicht prangte auf riesigen Plakaten an nahezu jeder Straßenecke in Istanbul. Ihsanoglus Wahlkampfteam musste mit vergleichsweise bescheidenen Mitteln auskommen.
Der frühere Chef der Organisation für Islamische Zusammenarbeit bezeichnete die Präsidentschaftswahl dennoch als Gelegenheit, die politischen Gräben in der türkischen Gesellschaft zuzuschütten und Spannungen abzubauen. Dafür müsse die Abstimmung aber transparent und fair verlaufen, mahnte Ihsanoglu, ansonsten drohe der Türkei "eine tiefe Demokratie-Krise".
Erdogan plant Einführung eines Präsidialsystems in der Türkei
Bislang hatte der Staatschef in der Türkei vor allem eine repräsentative Funktion. Erdogan strebt nun einen Wechsel zu einem Präsidialsystem mit größeren Machtbefugnissen für das Staatsoberhaupt an. Sollte er in den Cankaya-Palast der Hauptstadt Ankara einziehen, würde der 2003 angetretene Regierungschef neue Maßstäbe setzen: Erdogan wäre dann länger an der Macht als jeder andere Politiker nach dem laizistischen Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk, der die Türkei in den 1920er Jahren auf den Ruinen des Osmanischen Reichs errichtete.
Zwar blickt Erdogan auf das schwierigste Jahr seiner 2003 begonnen Regierungszeit zurück. Doch weder landesweite Proteste noch eine beispiellose Korruptionsaffäre oder internationale Kritik an seinem autoritären Regierungsstil vermochten seine Machtstellung ernsthaft zu gefährden. Im Gegenteil: Viele der 76 Millionen Türken preisen den früheren Bürgermeister von Istanbul als Vater jenes bemerkenswerten Wirtschaftswachstums, mit dem sich Ankara im internationalen Mächtekonzert eine kräftigere Stimme verschafft hat. Auch gilt Erdogan gerade dem strengreligiösen Mittelstand als Hüter einer islamischen Ordnung, die wichtiger sei als demokratische Freiheiten.
Während die Zukunft des amtierenden Präsidenten Abdullah Gül noch unklar ist, halten viele Türken das Rennen um Erdogans Nachfolge bereits für entschieden: Demnach könnte ihn sein Außenminister Ahmet Davutoglu als Regierungschef beerben. AZ/afp
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