Wenn das Volk entscheidet
Der Volksentscheid ist der kürzeste Hebel zur Ausübung der Demokratie. Die Direktwahl des Bundespräsidenten könnte eine Art Probelauf für bundesweite Entscheide sein, meint Walter Roller.
In Bayern hat das Volk den Eiertanz der CSU um den Nichtraucher-Schutz mit einem Machtwort beendet. In Hamburg hat die Bürgerschaft die sechsjährige Grundschule vereitelt. Das sind zwei eindrucksvolle, aus jüngster Zeit stammende Beispiele dafür, wie der Souverän die Dinge in die Hand nehmen und seinen Willen gegen die herrschenden Parteien durchsetzen kann.
Wenn Demokratie - so steht es im Lehrbuch - die Herrschaft des Volkes ist, dann bietet der Volksentscheid den kürzesten Hebel zur Ausübung der Demokratie. Die Wahlbeteiligung fällt dabei meist noch viel schlechter aus als bei normalen Wahlen. Dem Volk ist eben nicht nach pausenlosen Wahlgängen zumute. Auch verlassen viele die Zuschauertribüne auch dann nicht, wenn sie direkt ein Wörtchen mitreden könnten. Die meist schwache Beteiligung spricht aber nicht gegen den Volksentscheid.
Es steht ja jedem frei, mitzumachen oder nicht. Die Volksabstimmung ist ein urdemokratisches Instrument, das sich in vielen Ländern (Bayern zumal!) und Kommunen bewährt hat und den Bürgern die Gelegenheit zum unmittelbaren Mitreden gibt.
Im Bund gibt es keinen Volksentscheid. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben auf dieses plebiszitäre Element bewusst verzichtet, weil sie darin aufgrund der Erfahrungen in der Weimarer Zeit ein Einfallstor für Demagogen und Volksverhetzer sahen.
Dieses Argument zählt noch heute, weil die Gefahr der Manipulation durch Populisten immer besteht. Aber es ist kein K.-o.-Kriterium mehr, weil wir in einer gefestigten Republik leben. Gravierender ist, dass sich die komplexen Sachverhalte der Bundespolitik schwer auf einfache Ja- oder Nein-Antworten reduzieren lassen. Auch liefen Volksentscheide im Bund auf noch mehr Wahlkämpfe und ein Ende verlässlicher Entscheidungen hinaus.
Die Parteien würden ja versuchen, per Volksentscheid parlamentarische Mehrheiten auszuhebeln. So fordern SPD und Grüne ein Plebiszit über die Verlängerung der Reaktorlaufzeiten, während die CSU gerne über den EU-Beitritt der Türkei abstimmen ließe.
Eine Veränderung unserer Verfassungsarchitektur will also sorgfältig bedacht sein. Was im Land oder vor Ort mit gut überschaubaren Fragestellungen funktioniert, birgt im Bund einige Risiken. Trotzdem lohnt eine neue Debatte über das Plebiszit auch im Grundgesetz.
Die Direktwahl des Bundespräsidenten etwa wäre ein erster Schritt, eine Art Probelauf. Der Frust der Menschen über die Politiker und die Allmacht der Parteien wächst. Die Einführung des Volksentscheids könnte deshalb ein probates Mittel sein, um den Ruf des parlamentarischen Systems wieder zu verbessern und die Bürger besser einzubinden. Von Walter Roller
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