Lissabon-Vertrag: Tschechien kurz vor Unterzeichnung
In Tschechien deutet sich eine baldige Unterzeichnung des EU-Reformvertrags durch Präsident Vaclav Klaus an.
Der Tageszeitung "Lidove Noviny" sagte Klaus am Samstag, der Ratifizierungsprozess könne "nicht mehr gestoppt" werden. EU-Industriekommissar Günter Verheugen zeigte sich zuversichtlich, dass die Forderung von Klaus nach einer Ausnahmeregelung für Tschechien erfüllt werden könnte.
Der Zug, auf dem der Vertrag unterwegs sei, könne "nicht mehr gestoppt oder zur Umkehr gebracht werden", sagte Klaus. Befürchtungen, wonach er die Unterzeichnung des Lissabon-Vertrags bis zu einem möglichen Wahlsieg der Konservativen in Großbritannien hinauszögern wolle, wies Klaus zurück. "Ich kann und werde nicht auf die Wahlen in Großbritannien warten, es sei denn, sie werden in den kommenden Tagen oder Wochen abgehalten", sagte Klaus. Die Konservativen haben angekündigt, im Falle eines Wahlsiegs ein Referendum über den Vertrag abzuhalten, mit dem die Briten den Vertrag zum Scheitern bringen könnten.
Klaus ist der einzige Staatschef der EU, der den Vertrag noch nicht unterzeichnet hat. Er fordert eine Verankerung der Benes-Dekrete in einer Ausnahmeklausel und begründete dies mit etwaigen Rückgabeforderungen von Sudetendeutschen und Ungarn, die nach dem Zweiten Weltkrieg auf Grundlage der Benes-Dekrete enteignet und vertrieben worden waren.
Die Ausnahmeregelung für Tschechien könnte dem nächsten Vertragswerk angehängt werden, das von allen 27 EU-Mitgliedern ratifiziert werden muss, sagte Klaus. Dies sei vermutlich der Vertrag zum EU-Beitritt Kroatiens. Ein "Versprechen", dass diesem Vertrag eine Zusatzklausel angehängt werde, würde ihn zufriedenstellen, sagte Klaus.
EU-Industriekommissar Verheugen sagte am Sonntag im Deutschlandfunk zu der Forderung von Klaus, vergleichbare Wünsche von Polen seien erfüllt worden. Dies habe keine großen Probleme bereitet. "Es macht auch deshalb keine Probleme, weil Deutschland ja überhaupt keine Ansprüche an Tschechien stellt", sagte Verheugen. Politisch sei eine Lösung also möglich, die technische Umsetzung sei nun Sache der Staats- und Regierungschefs.
Zu einem möglichen Beitritt der Türkei zur Europäischen Union sagte Verheugen, dieser sei aus strategischen Gründen unverzichtbar. "Wir brauchen die Türkei mehr als die Türkei uns braucht", sagte Verheugen. Die Türkei sei "strategisch von der allergrößten Bedeutung." Wenn die Türkei einen anderen Weg gehen würde als den der festen Verankerung in der westlichen Staatengemeinschaft, wäre das "ein sehr, sehr großes Risiko für uns, das wir lieber nicht eingehen sollten".
Wenn die Türkei hingegen als erstes großes Land der Welt mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung demonstrieren würde, dass Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit auch in einem solchen Land uneingeschränkt verwirklicht werden können, wäre das "ein ungeheurer Vorteil für uns". Dennoch gebe es für die Türkei "keine erleichterten Beitrittsbedingungen, nur weil sie strategisch für die Europäische Union so wichtig ist", sagte Verheugen.
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