Vor 70 Jahren erhoben sich Bürger der DDR gegen die SED-Diktatur. Der gescheiterte Akt der Selbstbefreiung ist vergessen. Erst 1989 glückte die friedliche Revolution.
Mit bloßen Händen und Steinen gegen sowjetische Panzer. Mit der Kraft der Straße gegen den Apparat. Am 17. Juni 1953 erhob sich das Volk in der DDR, nicht nur in Berlin auf der Stalin-Allee, sondern im ganzen Land. In Magdeburg, in Jena, in Halle. Am Morgen Grummeln und Unruhe in den Betrieben. Der Auslöser: Die Arbeitsnorm wurde um zehn Prozent angehoben. Auf den Betriebsversammlungen wird aus Unzufriedenheit Zorn. Er steigert sich zur offenen Revolte. Auszug der Arbeiterinnen und Arbeiter zu den Kreisleitungen der SED. Die Menschen schließen sich an. Lautsprecherwagen werden herbeigeholt, Reden für die Freiheit gehalten. Die Büros der Funktionäre werden besetzt und Parolen zerrissen. Aus den Knästen werden politische Gefangene geholt. Zwischen 400.000 und 1,5 Millionen Menschen – genaue Zahlen gibt es nicht – brachten den Sozialismus zum Wanken. In den Mittagsstunden verhängte der Sowjetkommandeur den Ausnahmezustand, 20.000 Mann werden zur Niederschlagung des Aufstandes eingesetzt. Am Abend hat der Apparat gesiegt. 55 Menschen ließen ihr Leben.
Bürgeraufstand in der DDR: Warum die Erinnerung an den 17. Juni verblasst
Der 17. Juni ist heute ein revolutionäres Zucken im Schwarz-Weiß der Fotos und verwackelter Filmschnipsel. Doch die Erinnerung daran ist verblasst, wie ein ausgeblichenes Foto – in Ost- und Westdeutschland. Namenlos sind die Anführer des Aufstandes, höchstens Historikern bekannt. In der alten BRD wurde der 17. Juni zum Feiertag gemacht, zum "Tag der Deutschen Einheit". In der DDR zum vom Ausland gelenkten faschistischen Putschversuch erklärt. Nachdem sich die Westdeutschen mit der Teilung arrangiert hatten, machten sie am 17. Juni Ausflüge mit der Familie. Meist war ja schönes Wetter. In dieser Bedeutungslosigkeit verharrt der Aufstand bis heute.
Zweimal kämpften die Ostdeutschen um ihre Freiheit, einmal vergeblich, einmal von Erfolg gekrönt. Nur stolz darauf sind sie nicht. "Damals träumten wir im Osten vom Paradies, aber wir wachten auf in Nordrhein-Westfalen." In diesem Satz von Alt-Bundespräsident Joachim Gauck ist alles enthalten, was das schwierige Erbe der Revolution ausmacht.
Die Hoffnungen von 1989 und die Enttäuschungen, als die DDR-Wirtschaft plattgemacht wurde, wie einst Kohle und Stahl im Ruhrgebiet. Nirgends verschwanden so schnell so viele Industriearbeitsplätze wie in Ostdeutschland. In einem Land, dass sich auf den Arbeiter und seine Kraft gründete, richtet das eine seelische Verwüstung an. Die Jungen und die gut Ausgebildeten machten nach drüben. Auf die seelische Verwüstung folgt die Wüst-Werdung der Städte und Dörfer. Dort übernehmen die Westdeutschen das Kommando in den Behörden, in den Hochschulen und in den Staatskanzleien. Gezahlt wird "Buschzulage", als ginge es auf gefährliche Mission in den Dschungel.
Jahrzehnte nach Ende der DDR: Im Osten sind die Kränkungen nicht verheilt
Die Kränkungen sind nicht verheilt, pflanzen sich fort in den nächsten Generationen, die den Sozialismus als Kindergartenkinder erlebt haben oder gar nicht mehr. Im ostdeutschen Elend der Neunzigerjahre liegt sie begründet, die fortwirkende Unterschiedlichkeit zwischen Ost- und Westdeutschland. Gewiss schwingt das autoritäre Erbe der Diktatur mit, die nach dem Nationalsozialismus in der DDR um 40 Jahre verlängert wurde, ohne dass SED-Staat und SS-Staat gleichzusetzen sind.
Aber wesentlich sind die Neunzigerjahre, die in der Einführung von Hartz IV im Jahr 2005 einen Schlusspunkt der Abwertung fanden. In dieser Epoche ist auch das Klischee entstanden, das sich vom Menschen in Ostdeutschland gebildet hat. Der Jammer-Ossi, der trotz Abermilliarden an Westtransfers in DM und Euro undankbar hinter den sanierten Fassaden seiner schmucken Häuschen sitzt und Protestparteien wählt – erst die PDS, jetzt die AfD.
Der Leipziger Literaturprofessor und steht mit seinem Buch darüber auf der Bestsellerliste auf Platz 1. Es ist selten, dass ein Ostdeutscher mit einem Ost-Thema an der Spitze steht. Oschmanns These lautet, dass der Osten vom Westen als abnormale Ausnahme von der westdeutschen Norm gesehen wird. Sein Gewährsmann ist Springer-Chef Matthias Döpfner. "Meine Mutter hat es schon immer gesagt. Die Ossis werden nie Demokraten", tippte dieser in sein Handy. Die SMS gelangte an die Presse.
Heute ist Russland bei manchen beliebter als zu DDR-Zeiten
Der Ostdeutsche, der nie in der Freiheit ankommt und sich im Westen auch nicht richtig akzeptiert fühlt, geistert alle paar Jahre durch die politische Debatte. Es gibt ihn als homo sovieticus auch anderswo im untergegangenen Ostblock. Der einstige große Bruder aus Moskau war in der DDR seinerzeit unbeliebt. Heute fühlt ein Teil der Ostdeutschen die Bande der deutsch-sowjetischen Freundschaft stärker als früher. Am lautesten ist der Applaus auf den Demos pro Russland, wenn es gegen die Amerikaner geht.
Das Gegenstück zu Oschmanns Wut ist das pastellfarbene DDR-Alltagspanorama der in England lebenden Historikerin Katja Hoyer. Auch dieses Buch ist ein Erfolg. Geboren wurde Hoyer Mitte der Achtziger in der Wilhelm-Pieck-Stadt Guben – diesseits der Mauer, genau wie ihr Buch heißt. Es geht um das Leben in der Platte, das Wochenende auf der Datsche und Urlaub in einem Land mit sehr begrenzter Reisefreiheit. "Es war nicht alles schlecht", in diesem Satz ist ebenso wie in Gaucks Traum vom Paradies alles enthalten. In der Rückschau wird das Leben milde.
Auch im falschen Leben einer Diktatur verlieben sich die Untertanen, gründen Familien, bauen Häuser und feiern Feste. Fluch und Segen der Ostdeutschen zugleich sind die Westdeutschen. Segen, weil die den Wiederaufbau des Ostens mit Unsummen bezahlten. Fluch, weil die Ostdeutschen einen Unterlegenheitskomplex entwickelt haben. Ablegen müssen sie diesen schon selbst. Zweimal für die Freiheit aufgestanden zu sein, ist Grund, aufrecht zu gehen.
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Jetzt wollte ich gerade im ZDF was zum 17. Juni kucken. Aber da kommt nur eine Livesendung zu King Charles Geburtstag.
Mit dem Aufstand vom 17.Juni 1953 wollte eine nicht unerhebliche Anzahl Ostdeutscher nicht nur das SED-Regime und den Kommunismus wieder loswerden, sondern auch die Russen, die Osteuropa und den östlichen Teil Deutschlands eben nicht "befreit" hatten, sondern nach dem Ende des Nationalsozialismus sofort und vollständig die kommunistische Diktatur mit aller Härte und Brutalität in allen besetzten Ländern etabliert hatten.
Vorbereitet hatten die Sowjets diesen Akt schon viel früher:
als Stalin und Molotow erwarteten und fest damit rechneten, daß sich das 3. Reich und die westeuropäischen Mächte kriegerisch soweit dezimieren würden, daß die Rote Armee anschließend ganz leicht und ohne große Kriegshandlungen bis an den Atlantik rollen würde!
Das war auch der sowjetische Grund für den "Molotowplan", den Abschluß des Stalin-Hitler-Pakts!
Sehr bedenklich muß stimmen, daß es den ostdeutschen Kommunisten im Nachgang zur Niederschlagung des Aufstandes offensichtlich vollkommen gelungen war, die sozialistische Diktatur und das diesbezügliche Gesellschaftsbild so in der ostdeutschen Gesellschaft zu verankern, daß nicht wenige Ostdeutsche noch heute die DDR romatisieren und verteidigen und den grundsätzlichen russischen Machtanspruch über Europa nicht nur anerkennen, sondern sogar befürworten.
Der -ja typisch deutsche- Antiamerikanismus war ( sehr seltsamerweise und ganz und gar nicht nachvollziehbar ) immer auch schon in der BRD vertreten.
In Ostdeutschland durch die jahrzehntelange Schulung und Ideologiebildung durch das sowjetisch-deutsche Sozialismus-Regime eben noch gesteigerter und umfassender!