Vereinte Nationen werfen China Verbrechen an den Uiguren vor
Nur wenige Minuten vor Ende ihrer Amtszeit veröffentlicht UN-Menschenrechtskommissarin Bachelet einen Bericht, der den Umgang mit Minderheiten massiv kritisiert.
Ganze zwölf Minuten bevor die Amtszeit von Michelle Bachelet als UN-Menschenrechtskommissarin endete, veröffentlichte sie ihren bis dato am dringendsten erwarteten Bericht. Auf 48 Seiten legt die 70-Jährige die „schwerwiegenden Menschenrechtsverbrechen“ der chinesischen Regierung in Xinjiang dar, bei denen es sich möglicherweise gar um „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ handelt. Dies wäre nicht nur eines der gravierendsten Vergehen unter dem Völkerrecht überhaupt, sondern nähme zwangsläufig auch die internationale Staatengemeinschaft in die Verantwortung. Patricia Flor, Deutschlands neue Botschafterin in Peking, kommentierte auf Twitter: „Terrorbekämpfung kann keine Menschenrechtsverbrechen entschuldigen“.
In Xinjiang gibt es schon lange Spannungen zwischen den herrschenden Han-Chinesen und ethnischen Minderheiten. Seit Unruhen 2009 und Terroranschlägen greifen die Sicherheitskräfte hart durch. Uiguren beklagen kulturelle und religiöse Unterdrückung, während Peking uigurischen Gruppen Extremismus vorwirft.
Verbrechen an den Uiguren: Das steht im UN-Bericht
Die Anschuldigungen des Berichts sind massiv: Am detailliertesten geht der Report auf die politischen Umerziehungslager ein, in die die chinesische Regierung in den letzten Jahren hunderttausende Angehörige der Uiguren, eines muslimischen Turkvolks, gesteckt hat. Der Bericht sieht es als gesichert an, dass „ein substanzieller Anteil der uigurischen Bevölkerung“ Opfer einer willkürlichen „Freiheitsberaubung“ wurde. Zudem seien die Insassen laut Augenzeugenberichten „körperlicher Folter“ und „sexueller Gewalt“ und „Zwangsarbeit“ ausgesetzt. Nicht zuletzt wird auf die „stark eingebrochenen Geburtenraten“ in mehreren Regionen Xinjiangs hingewiesen – laut Experten ein Indiz für Zwangssterilisierungen. Der Bericht spricht vorsichtiger von „erzwungener Durchsetzung von Familienplanungsvorschriften“.
Die Grundlage des Berichts bilden zum einen Interviews mit 40 Uiguren, von denen einige in Internierungslagern eingesperrt waren. Zum anderen wurden mehrere Regierungsleaks ausgewertet, deren Echtheit zuvor ausgiebig überprüft wurde. Vor allem aber fußt ein großer Teil der Datenlage auf offiziell zugänglichen Statistiken und Daten der chinesischen Regierung. Dies lässt die Argumentation von Peking, dessen Staatsführung sämtliche Vorwürfe kategorisch und zur Gänze abstreitet, ganz besonders schwach erscheinen. Der Sprecher des chinesischen Außenamtes, Wang Wenbin, nannte den Bericht „falsch und illegal“.
Welche Folgen hat der UN-Bericht für Peking?
Zwar liefert der UN-Bericht keine neuen Erkenntnisse, denn die Menschenrechtsverbrechen sind bereits detailliert von Wissenschaftlern und investigativen Journalisten dokumentiert worden. Doch deren Bestätigung durch die Vereinten Nationen verleiht den Vorwürfen noch größeres Gewicht. Der deutsche Forscher Adrian Zenz, der in den vergangenen Jahren mit seinen Studien die Umerziehungslager in Xinjiang dokumentiert hat, sagt: „Zwar ist der Bericht nicht perfekt und viele Beweise wurden nicht verwendet. Dennoch wird er eine starke Grundlage dafür bieten, Peking zur Rechenschaft zu ziehen“.
Ob es dazu kommt, ist allerdings fraglich. Peking hatte bereits im Vorfeld massiv Druck auf die chilenische UN-Kommissarin Bachelet ausgeübt. Der UN-Bericht sollte schon im vergangenen Jahr veröffentlicht werden. Bachelet zögerte aber, weil sie mit China monatelang darüber verhandelte, ins Land reisen zu können. Die Reise kam im Mai 2022 zustande. Bachelet kam auch nach Xinjiang, doch hielt sie sich zum Ende des Besuchs mit Kritik an Pekings Vorgehen in der Region stark zurück. Das brachte ihr Kritik ein, unter anderem von der Bundesregierung. Bachelet stand unter immensem Druck, wie sie in der vergangenen Woche berichtete. Sie habe einen Brief von rund 40 Regierungen erhalten, die sie drängten, von der Veröffentlichung abzusehen. Einzelne Länder nannte sie nicht.
Xi Jinping steht vor einem wichtigen Schritt
Die Befürchtung, dass die UN-Vertreterin ihr Amt nachhaltig beschädigt hat, erwies sich jedoch als unbegründet. Es gibt in dem Bericht keinerlei Hinweise darauf, dass Peking die Substanz des Dokuments verwässern konnte.
Ob die Publikation weitreichende Konsequenzen haben wird, bleibt offen. Die UN forderte bereits, dass China alle Opfer finanziell entschädigt. Zudem sollen Staaten keine Uiguren oder Angehörige anderer muslimischer Minderheiten mehr nach China abschieben. Dass sich Chinas Staatsführung allerdings auf die Kritik einlässt, gilt als nahezu ausgeschlossen.
Parteichef Xi Jinping steht derzeit vor der wichtigsten Herausforderung seiner politischen Laufbahn: Mitte Oktober wird der 69-Jährige inmitten einer handfesten Wirtschaftskrise seine umstrittene dritte Amtszeit verkünden. So wird er wohl die Erzählung weiterspinnen, dass China nur das Opfer eines feindlich gesinnten Westens unter Führung Washingtons ist, welcher die Volksrepublik am rechtmäßigen Aufstieg zur Weltmacht hindert.
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