Russland duldet keinen Widerspruch aus der Bevölkerung
Manche Wörter darf die russische Bevölkerung im Zusammenhang mit der Ukraine nicht aussprechen. Wer es dennoch wagt, sich zu widersetzen, lebt immer gefährlicher.
„Perekrjostok“ heißt Kreuzung auf Russisch. Supermärkte quer durch Russland tragen diesen Namen. Sie sind nicht teuer, nicht billig und finden sich an vielen Ecken russischer Städte. Weiß sind die Preisschilder, manchmal auch gelb, wenn die Waren reduziert sind. An einem Abend im März fanden sich in einem „Perekrjostok“ in Sankt Petersburg statt Preisschildern kleine Handzettel über den Krieg in der Ukraine an den Waren. Über den Beschuss des Theaters in Mariupol und den Tod von Zivilisten. Es war ein Protest zwischen Buchweizen und Nudelpackungen. Ein kaum sichtbarer und doch offenbar ein so wirkungsvoller, dass Ermittler der Sankt Petersburger Polizei eine Soko einrichteten, um die „Übeltäterin“ wochenlang zu suchen.
Was in der Ukraine passiert, wird verklärt und verleugnet
Alexandra Skotschilenko, eine junge Künstlerin und Aktivistin, hatte die Preisschilder ausgetauscht. Seit einigen Tagen sitzt die Petersburgerin in U-Haft, ihr drohen bis zu zehn Jahre Haft – wegen „öffentlicher Verbreitung wissentlich falscher Informationen über die Handlungen russischer Streitkräfte“. Es ist einer von mittlerweile 38 Straffällen, in denen wegen des neuen, erst im März eingeführten Zensurgesetzes ermittelt wird, rund 1300 Menschen bekamen wegen der „Diskreditierung der Armee“ bereits Ordnungsstrafen.
Der russische Angriffskrieg muss in Russland „militärische Spezialoperation“ genannt werden. Was im Nachbarland passiert, wird verklärt und verleugnet. Alle, die sich nicht an der staatlich verordneten Verherrlichung beteiligen und das auch noch öffentlich kundtun, gelten dagegen als Verräter, von denen Russland „gesäubert“ werden müsse, wie der russische Präsident Wladimir Putin vor einigen Wochen erklärte. Das Schweigen spaltet die Gesellschaft, macht das Leben vieler unerträglich.
Einem Politiker werden Falschnachrichten und politischem Hass vorgeworfen
Die einen gehen ins Exil, die anderen wehren sich, indem sie grüne Bändchen als Zeichen des Protests an Bäume in den städtischen Parks hängen, das Buch „Krieg und Frieden“ von Leo Tolstoi in die Höhe halten oder Preisschilder austauschen wie Alexandra Skotschilenko, die laut Richterin damit eine „schwerwiegende Handlung gegen die öffentliche Ordnung“ begangenen habe. Das Hinterfragen offizieller Positionen wird kaum noch geduldet. Selbst Unterhaltungen am Telefon über den Krieg in der Ukraine machen die Menschen verdächtigt. Schülerinnen und Schüler denunzieren ihre Lehrer, Supermarktbesucher andere Supermarktbesucherinnen.
Der prominenteste – und politischste – Fall der neuen Gesetzgebung betrifft eine bekannte Figur der russischen Opposition: Wladimir Kara-Mursa. Der 40-Jährige koordinierte seit den 2000er Jahren im Hintergrund oppositionelle Gruppen und lobbyierte für deren Anliegen im Ausland, wie er sich auch jahrelang in Europa und den USA für Sanktionen gegen russische Funktionäre einsetzte. Er wurde, wie russische und internationale Rechercheure herausfanden, von derselben Gruppe des russischen Geheimdienstes wie auch Nawalny zwei Mal vergiftet. Er überlebte die Anschläge. Seine Frau und seine drei Kinder leben aus Sicherheitsgründen im Ausland, er pendelte immer wieder zwischen den USA und Russland. Bis vor knapp zwei Wochen. Seitdem sitzt er in Haft. Ihm wird ein Auftritt vor den Abgeordneten im Repräsentantenhaus in Arizona vorgeworfen. Eine Rede auf Englisch. Dabei soll er „Falschnachrichten“ verbreitet und „politischen Hass“ gesät haben.
Die Zensurgesetze sind den Behörden allerdings nicht genug. Nun soll die Generalstaatsanwaltschaft auch das Recht bekommen, Redaktionen die Lizenz und Journalistinnen und Journalisten die Akkreditierung zu entziehen und selbst Büros ausländischer Medien zu schließen, ohne richterlichen Beschluss. Zum „ausländischen Agenten“ kann zudem jeder werden, der „von außen beeinflusst“ werde. Auch Verwandte eines „Agenten“ können gebrandmarkt werden, die Sippenhaft kehrt damit offiziell zurück.
Die Diskussion ist geschlossen.
Was ist der Unterschied zwischen Alexandra Skotschilenko und Julian Assange?
Julian Assange sitzt seit Jahren in einem Hochsicherheitsgefängnis in England, was Folter gleichkommt.
Wahrscheinlich wird er an die USA ausgeliefert.
Und das, weil er Kriegsverbrechen öffentlich machte.
Vieleicht sollte der Wertewesten mal vor der eigenen Türe kehren bzw. mit gleichem Maß messen.
Nur weil's ehrlicher wäre.
Assange ist nun wirklich ungeeignet, falls Sie nach einem Unschuldslamm gesucht haben. Spätestens seit er auf RT Talkshows moderierte und sich vom russischen Geheimdienst sagen ließ, was er veröffentlichen solle, verlor er seine Unschuld. Er hat mitgeholfen Links- und Rechtradikale in aussichtsreiche Wahlpositionen zu bringen.
Außerdem kann ich nicht erkennen warum ein britisches Gefängnis mit Folter gleichgesetzt wird.
@ Robert M.
Sie haben offensichtlich noch nicht mitbekommen, dass Herr Wolfgang L. zu jedem Beitrag seine alleinseeligmachende Meinung kundtut. Eine andere Meinung als seine akzeptiert er nicht, er ist nämlich unfehlbar.
Putin ist ein Verbrecher. Das Regime in Russland ist auf das Niveau Nordkoreas abgesunken. Apeasement hilft Null, das hat man viel zu lange betrieben.
Soll man überhaupt noch die Wahrheit sagen? Darf man es überhaupt noch?
1) Putin sitzt heute fester im Sattel als jemals zuvor.
2) Anfangs herrschte tatsächlich eine kritische Stimmung: Warum dieser Krieg? Warum gegen die Ukraine?
3) Sanktionen und Waffenlieferungen haben mittlerweile dazu geführt, dass 100% der Russen sich in einem Verteidigungskrieg sehen - ähnlich wie bei Überfall Hitlers auf die Sowjetunion. Das ist leider keine Übertreibung.
4) Dass im Westen der Ukraine Nuklearwaffen zum Einsatz kommen ist eine absolut realistische Perspektive.
"Das ist leider keine Übertreibung."
Doch, ist es. Es sind 81 % und das liegt auch nur an der Propaganda, Gehirnwäsche und dem brutalen Vorgehen gegen geringste Abweichler von der vorgegebenen Linie.
(https://www.rnd.de/politik/krieg-in-ukraine-was-denkt-die-russische-bevoelkerung-SL3EICMAABHVGTUY4WMUNVV7ZM.html)
Robert M., das ist so in autoritären Staaten. Das sollten Sie durch Ihre Reisen nach China doch am besten wissen. Nur ist es dort noch weit extremer. Chinesen haben in der großen Mehrheit nicht einmal die Chance, an ungefilterte Informationen zu gelangen.
Naja, Chinesen lernen von Kindesbeinen an, wie man ein VPN installiert und auch ohne ist die Große Chinesische Firewall erstaunlich löchrig. Können Sie nicht wissen, Sie waren ja noch nie in China.
Urlaub in der Diktatur? Kommt für mich nicht in Frage.
Das mit VPN in China war eInmal: Die VPN-Dienste werden mittlerweile stark kontrolliert, die Netzbetreiber in China mussten sich dazu verpflichten, derartige Zugänge abzuschalten. Dienste, die VPN als Nebenprodukt betreiben, müssen sich registrieren. Man steht dort immer mit einem Bein im Gefängnis, wenn man sich unabhängig informiert. Und was nutzt es, wenn ich etwas weiß, aber mit niemand darüber sprechen kann, weil überall Spitzel unterwegs sind? Russland ist auch auf dem Weg in solch einen Überwachungsstaat.
Mit den aktuellen politischen Verantwortlichen, sprich, den Kriegsverbrechern, wird dieses Land lange Jahre nicht mehr den Weg zurück in die Wertegemeinschaft finden. Was die russischen Soldaten in der Ukraine anrichten und hinterlassen, wird sich auch auf Jahrzehnte hinaus nicht vergessen machen lassen. Ruhm der Ukraine!