Kevin Kuranyi taucht wieder auf und spricht von Frust
Nach seiner überstürzten Flucht aus dem Fußballstadion gibt sich Kevin Kuranyi reumütig. Und voller Frust. Von Anton Schwankhart
Düsseldorf. Anfangs hat Joachim Löw noch versucht, so zu tun, als wäre der Fußball am Tag nach Kevin Kuranyis auftauchen das Wichtigste. So hat er die Pressekonferenz in Düsseldorf routinemäßig mit einer Rückschau auf das Russland-Spiel und einem Ausblick auf Wales (Mittwoch 20.45 Uhr/ZDF) begonnen. Die Botschaft: Der Fall Kuranyi ist abgeschlossen.
Dafür hatte die Flucht des 26-Jährigen zur Halbzeit der Partie in Dortmund aber viel zu wunderliche Züge besessen. Anders, als er Deutsche Fußball-Bund anfangs glauben machen wollte, kam sie nicht aus völlig heiterem Himmel.
Nachdem klar war, dass Kuranyi nur auf der Tribüne sitzen würde, hatte er den Trainer gebeten, ihn für das Spiel nach Hause fahren zu lassen. Ein Schalker, der in Dortmund auf den Rängen sitzen muss - nach königsblauem Verständnis die Höchststrafe.
Löw am Montag: "Das kam für mich nicht in Frage." Als der Mannschaftsbus dann auf den vermeintlichen Nachzügler wartete, hatte der Trainer wohl geahnt, dass sein Stürmer Nummer 5 nicht mehr kommen würde. Kuranyi war zur Halbzeit abgetaucht, hatte nachts mit seinem Berater und seiner Frau telefoniert, seinen Rücktritt aus der Nationalmannschaft verkündet und das Handy ausgeschaltet.
Später Anruf beim Bundestrainer
Sonntagabend hat er sich dann bei Löw gemeldet. Inzwischen war dem Rücktritt der Rauswurf gefolgt, an dem der Bundestrainer festhalten will. "Eine Entscheidung, die für mich steht und unwiderruflich ist", versichert Löw. Daran ändere auch nichts, "dass sich Kevin entschuldigt hat." Löw: "Es war ein Fehler, die Mannschaft im Stich zu lassen."
Das scheint inzwischen auch Kuranyi so zu sehen. Während Löw in Düsseldorf sprach, gab der 26-Jährige in Gelsenkirchen eine Pressekonferenz. Berater und Verein werden ihm dazu geraten haben. Kuranyi ist schließlich keiner, der sich aus dem Fenster lehnt. Er ist ein Teamspieler, auch wenn er sich am Samstag anders präsentiert hat.
"Er war voll akzeptiert und hat nie etwas gegen andere gesagt", versucht Philipp Lahm dem Eindruck entgegenzutreten, als sei da einer hinausgemobbt worden. Lahm: "Er ist mit der Entscheidung des Trainers nicht zurecht gekommen. Deshalb aber abzureisen, das geht nicht."
Dass Schalkes Andreas Müller den Schwarzen Peter für Kuranyis Flucht Joachem Löw zuschieben möchte, wird der Sache nicht gerecht. Der Schalker sei in der Nationalelf nicht immer gerecht behandelt worden, warb Müller um Verständnis für seinen Angestellten. Ein Vorwurf, den Löw "nicht nachvollziehen kann".
Tatsächlich hat Kuranyi immer wieder Chancen erhalten. Löw hat ihn zurückgeholt, nachdem ihn Jürgen Klinsmann für die WM 2006 aus dem Kader gestrichen hatte. Der Bundestrainer hat ihn als "hervorragenden Kopfballspieler" geschätzt. Kuranyis technische Mängel bei schnellem Spiel aber, haben ihn im Ansehen immer mehr sinken lassen - und das nicht nur in der Nationalmannschaft.
Beim FC Schalke haben ihn die Fans zum Prügelknaben für alles gemacht, ohne dass der Vereinsführung daran etwas ändern konnte. In solchen Fällen ist die Nationalmannschaft oft ein geschätztes Refugium. Kuranyi hat sie nicht aufgefangen.
"Es war ein Fehler. Aber ich habe das nicht mehr ertragen", räumte der gebürtige Brasilianer gestern seinen Fruststau ein. Den Rauswurf könne er akzeptieren. Dass er ihn sich besser erspart hätte, scheint er zu ahnen. Kuranyi: "Was in der Zukunft passiert entscheiden andere." Das klingt, als käme er gerne wieder zurück. Dabei wird er im Moment nicht einmal gebraucht. Der Bundestrainer hat in Podolski, Klose, Gomez und Helmes vier starke Stürmer, weshalb er darauf verzichtet, für das Spiel gegen Wales einen weiteren Stürmer nachzunominieren.
Weil die Gelegenheit günstig war, ist er gestern Grundsätzlich geworden. "Man muss in Deutschland vom Gedanken wegkommen, dass man mit elf Spielern über Monate hinweg Topleistungen bringen kann." Dazu brauche es 20 Akteure und deren Bereitschaft Wechsel zu akzeptieren. Eine Botschaft für Torsten Frings, der ebenfalls "sehr enttäuscht war, dass er nicht von Beginn an spielen durfte" (Löw).
Immerhin hat es der Bremer unter die sieben Spieler geschafft, die auf die Ersatzbank dürfen. Von dort ist es schwieriger, sich zu verdrücken. Aber vielleicht ist das Problem der Stadionflüchtigen bald gelöst: Der Weltverband FIFA denkt daran wie bei großen Turnieren sämtliche nominierten Akteure auf der Ersatzbank Platz nehmen zu lassen.
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