
Medaille knapp verpasst: Schwimmer Henning Mühlleitner streckt sich vergeblich


Um 13 Hundertstel Sekunden verpasst der 24-Jährige Bronze und damit die erste Medaille der Deutschen im Wasser seit 2008. Hoffnung ruht auf Weltmeister Wellbrock.
Es gehört zu den olympischen Besonderheiten, dass die deutschen Sportlerinnen und Sportler bisweilen etwas später in den oberen Regionen des Medaillenspiegels auftauchen. Das hatte bei den vergangenen beiden Olympischen Spielen auch damit zu tun, dass die Schwimmerinnen und Schwimmer des Team D, wie es sich selbst nennt, gänzlich ohne Edelmetall aus dem Becken stiegen. Britta Steffens war die bislang Letzte, die es auf das Treppchen schaffte. 2008 hatte sie Gold über 50 und 100 Meter Freistil geholt. Seitdem: Fehlanzeige.
Außenseiter Hafnaoui gewinnt über 400 Meter Freistil Gold - Mühlleitner landet auf Platz vier
Die einst große Schwimmnation Deutschland verschwand danach in der Versenkung. Vergeblich hatte der einstige Bundestrainer Henning Lambertz, teils auch mit unorthodoxen Methoden, versucht, den Trend umzukehren. Er war aber nicht zuletzt am heterogenen Widerstand der Heimtrainer gescheitert und schmiss vor zweieinhalb Jahren hin. Seitdem geben Bernd Berkhahn und Hannes Vitense als Duo die Kommandos und gestanden allen Beteiligten wieder mehr Freiheiten zu. Unter ihrer Ägide soll sich der missliche Zustand des deutschen Schwimmsports endlich ins Bessere verkehren. Und tatsächlich stand gleich am ersten Finaltag der Schwimmwettbewerbe mit Henning Mühlleitner ein aussichtsreicher Kandidat bereit. Völlig überraschend hatte sich der 24-Jährige als Vorlaufschnellster über 400 Meter Freistil für das Finale qualifiziert.
Das bedeutet Bahn vier inklusive Favoritenstatus. Gelbe Leinen links und rechts. Der Rest des Feldes wird nach Vorlaufzeit von innen nach außen einsortiert. Bedeutet im Umkehrschluss also auch, dass auf Bahn acht derjenige Schwimmer auf dem Startblock steht, der gerade noch so ins Finale gerutscht ist. Über 400 Meter Freistil war das der erst 18-jährige Tunesier Ahmed Hafnaoui. Und es entspann sich eines dieser Rennen, die dem Sport seine Faszination einhauchen. Mühlleitner begann langsam, ganz wie im Vorlauf. Auf den Außenbahnen suchten die vermeintlichen Außenseiter ihr Heil in der Flucht nach vorne. Mit Erfolg. Hafnaoui kam nach 3:43,36 Minuten als erster ins Ziel. Vor dem Australier Jack Alan McLoughlin und Kieran Smith aus den USA. Mühlleitner blieb, zeitgleich mit dem Österreicher Felix Auböck, der undankbare vierte Platz. Mit seiner Zeit aus dem Vorlauf hätte er Bronze gewonnen.
Die nächste Chance auf eine Olympia-Medaille hat Mühlleitner in der Freistil-Staffel über 4x200 Meter
„Ich bin heute nahezu das gleiche Rennen geschwommen wie gestern, damit bin ich maximal zufrieden“, sagte Mühlleitner und sah dabei aus, als ob er tatsächlich meinte, was er sagte. Keine Spur von Frust oder Verbitterung angesichts der Tatsache, dass ihm gerade mal 13 Hundertstel auf Platz drei gefehlt hatten. „Jetzt ist es natürlich die Blechmedaille oder Holzmedaille oder wie auch immer man es nennen mag, aber das stört mich relativ wenig“, gab er gut gelaunt zu Protokoll. Seine starke Leistung im Vorlauf habe die ganze Mannschaft beflügelt. „Ich hoffe, wir heizen noch mal richtig an.“ Er selbst wird das nächste Mal in der 4x200-Meter-Freistil-Staffel an den Start gehen, einst eine Paradedisziplin der Deutschen.
Als Erstes werde er nun aber sein Handy wieder anschalten, sagte er dann noch. Am Nachmittag des Vortags habe er es ausgeschaltet und zur Seite gelegt. „Meine Eltern wissen, dass ich das Handy ausmache. Meine Freundin weiß, dass ich mich nicht melde“, sagte er. „Das ist auch in Ordnung so.“
Deutlich euphorisierter dürfte Hafnaoui den restlichen Sonntag verbracht haben. Vermutlich hatte er nicht unbedingt mit einem Sieg gerechnet, denn zur Siegerehrung erschien er in kurzer Hose und grauem T-Shirt. Links und rechts standen der Australier und der US-Amerikaner standesgemäß im schicken Team-Trainingsanzug.
Überraschung bei den Olympischen Spielen: Hafnaoui gelang der Sieg auf einer Außenbahn
Der 18-Jährige hat sich mit seinem Überraschungssieg in einen illustren Kreis geschwommen. Er ist erst der dritte Olympiasieger von der Außenbahn. Bisher hatten das nur die australische Legende Kieren Perkins (1996 über 1500 Meter Freistil) und Dmitri Balandin (2016 über 200 Meter Brust) geschafft.
Hafnaouis Siegerzeit, und hier schließt sich der Kreis zu den einst so erfolgreichen Zeiten deutscher Schwimmer, ist mehr als drei Sekunden langsamer als der Weltrekord. Den hält seit 2009 Paul Biedermann, der damals allerdings noch in einem der mittlerweile verbotenen Plastikanzüge unterwegs war. Die meisten Rekorde der Plastik-Ära wurden inzwischen gebrochen, nur dem von Biedermann kam bislang niemand auch nur nahe.
Die aktuelle Generation deutscher Schwimmer bleibt erst einmal ohne Olympia-Medaille. Die größte Hoffnung liegt auf Weltmeister Florian Wellbrock. Der Langstreckenspezialist greift am Dienstag im Vorlauf über 800 Meter ins Geschehen ein. Vielleicht gelingt es ihm, die deutschen Schwimmer aus der Versenkung zu holen.
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