Vier-Tage-Woche: Gleiches Gehalt für weniger Arbeit kann nicht funktionieren
Die IG Metall und SPD-Chefin Saskia Esken wollen eine Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich einführen. Das klingt modern, macht Deutschland aber ärmer.
Herzlich willkommen im Schlaraffenland der Werktätigen! In einem Land, in dem das Wochenende schon am frühen Donnerstagabend beginnt und der freie Freitag natürlich bezahlt wird. Ein Land, das keinen Mangel zu kennen scheint und seinen Bürgerinnen und Bürgern eine völlig neue Balance zwischen Arbeit und Freizeit ermöglicht: Gleiches Gehalt bei 20 Prozent weniger Arbeit.
Die IG Metall prescht bei der Vier-Tage-Woche vor
SPD-Chefin Saskia Esken und die IG Metall muss der ökonomische Teufel geritten haben, als sie die Vier-Tage-Woche mit vollem Lohnausgleich zu ihrem Ziel erkoren haben. Schon jetzt fehlen überall Fachkräfte: Pflegerinnen und Pfleger, Lehrerinnen und Lehrer, Installateure, Bäcker, Ingenieure. Wenn aber die wenigen, die noch da sind, alle weniger arbeiten würden, stünde nicht nur unser Sozialsystem vor dem Kollaps, in dem bereits überdurchschnittlich viele Beschäftigte ihre Arbeitszeiten reduziert haben. Eine sinkende Arbeitsleistung bei gleichbleibend hohen Kosten bezahlt die ganze Volkswirtschaft mit Wohlstandsverlusten. Nur weil jemand einen zusätzlichen Tag frei hat und vielleicht etwas weniger gestresst ist, arbeitet er (oder sie) die übrige Zeit ja nicht produktiver. Deutschland würde also buchstäblich ärmer.
Um nicht missverstanden zu werden: Wer viermal zehn Stunden arbeitet anstatt fünfmal acht Stunden, soll das natürlich tun können, so flexibel müssen Arbeitsverträge heute sein. Wer aber nur viermal acht Stunden arbeitet, also in Teilzeit, muss dafür auch auf etwas verzichten – nämlich auf den entsprechenden Teil seines Gehaltes. Mit ihrer Forderung, vier Tage seien genug, trifft die IG Metall zwar den smarten Zeitgeist, die Situation heute aber ist nicht mit der der Fünfzigerjahre vergleichbar, als die Gewerkschaften mit dem Slogan "Samstag gehört Vati mir" für die Fünf–Tage-Woche zu kämpfen begannen. Damals waren in der Industrie Wochenarbeitszeiten von 45 und mehr Stunden die Regel und nicht die Ausnahme. Die Alliierten hatten nach dem Krieg zwar die bereits 1918 unter Friedrich Ebert eingeführten acht Stunden als tägliche Arbeitszeit bestätigt, das aber bei einer Arbeitswoche mit sechs Arbeitstagen. Nur der Sonntag war bis dahin frei.
Wer baut denn 400.000 Wohnungen im Jahr?
Heute hat Deutschland ganz andere Probleme. Wer soll denn die 400.000 Wohnungen im Jahr bauen, die die Bundesregierung versprochen hat, wenn es schon jetzt nicht genügend Maurer, Dachdecker oder Elektriker gibt? Wer installiert denn die Wärmepumpen, mit denen Robert Habeck das Klima retten will, wenn die meisten Heizungsbauer schon jetzt ausgebucht sind? Und wer pflegt eine wachsende Zahl von Pflegebedürftigen, wo doch schon jetzt ganze Stationen mangels Personal geschlossen bleiben müssen? Niemand kann an vier Arbeitstagen so viele Menschen pflegen oder so viele Busse fahren wie an fünf.
Ja, die Arbeitswelt hat sich geändert. Ja, vielen jungen Menschen ist eine mit Überstunden und ständiger Verfügbarkeit erkaufte Karriere nicht so wichtig wie vielleicht noch der Generation ihrer Eltern. Aber auch in einer arbeitsteiligen Gesellschaft kann nur das verteilt werden, was Unternehmen und Arbeitnehmer erwirtschaften. Dazu kommt der demografische Aspekt: Wenn die geburtenstarken Jahrgänge jetzt allmählich in Rente gehen, wird die Arbeitskraft eine noch knappere Ressource. Sie nun auch noch zusätzlich zu verknappen, verbietet sich damit von selbst. Eine erfolgreiche Industrienation wie Deutschland, hat Helmut Kohl schon 1993 gewarnt, "lässt sich nicht als kollektiver Freizeitpark organisieren."
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Vier Tage? Saß die ein Unsinn. Wieso nicht 3?
Forschung, Fakten, Firlefanz, Ruid Wais es besser
Ich gebe Herrn Wais vollkommen Recht. Man muss auch bedenken, von wem diese Forderung kommt, nämlich der IG Metall. In diesem Bereich, speziell in der Automobilindustrie, wird teilweise deutlich zu viel verdient. Wenn man gute Dividenden zahlen kann und teils alle Mitarbeiter mit Boni von knapp unter 10.000 € belohnen kann, kann man auch die 32-Stunden-Woche ermöglichen. In der Metallindustrie gibt es ohnehin schon die 35-Stunden-Woche. Die Umstellung bei vollem Lohnausgleich würde eine Gehaltserhöhung von 9,4 % bedeuten. Doch auch in diesem Sektor geht es nicht allen Firmen so gut.
In Bereichen mit einer allgemein üblichen Wochenarbeitszeit von 40 Stunden würde die Erhöhung 25 % (!) betragen.
Das Argument der Produktivitätssteigerung ist auch eingermaßen fadenscheinig. In vielen Berufen geht es schlichtweg um die Zeit, die jemand aufzubringen hat. Nehmen wir ganz einfach mal das Beispiel eines Wachmanns oder Pförtners. Diese Stelle muss über einen bestimmten Zeitraum besetzt sein. Da kann keiner schneller (effizienter) bewachen.
Weniger Arbeit für gleiche Bezahlung erinnert an den Werbe-Slogan der Gewerkschaften Ende der 80-iger: "Am Wochenende gehört der Papi mir". Viel Kinder hatten den Papi dann später die ganze Woche zuhause - arbeitslos.
Vielleicht in den 80ern. Aber das war im letzten Jahrtausend. Heute kann man in vielen Branchen in der Frühschicht kündigen und hat zu Beginn der Spätschicht eine neue Stelle.
@MARTIN M. Gratulation zu diesem Fortschritt, aber früher nannte man dies Sklavenhandel.
@Rainer Kraus
Ich bin nicht sicher, ob Sie mich verstanden haben: Arbeitnehmer können sich heute die Stelle in Branchen mit Personalmangel aussuchen. Papi wird in diesen Branchen die kommenden Jahren nicht arbeitslos sein, es sei denn Papi will das unbedingt.
Wie das mit "Sklavenhandel" zusammenpassen soll, erschließt sich mir nicht.
tja das war eine harte Zeit mit ihren Faktoren.
Heute sind die Zeiten selbstverständlich härter und die Faktoren anders: Fachkräfte in sämtlichen Bereichen werden gesucht. Drum würde ich jetzt nicht darauf wetten dass man mit solchen Forderungen morgen arbeitslos ist sondern man findet halt den geeigneten Arbeitgeber.
Wie man seine 40 Wochenarbeitsstunden verteilt, auf 4 oder 5 Tage sollte ja Wurscht sein. Es braucht halt eine Regelung wenn man 50 oder 60 h arbeiten will. Oder zeitweise muss.
Sehr viel Unwissen: Die 'Samstags gehört Papi mir' Aktion war in den 50er Jahren, und hat damals nicht zu Arbeitslosigkeit geführt.
Warum lügen sie?
Ich kann meinem Vorredner nur zustimmen. Sinnbefreite und stupide Arbeiten, deren einzige Daseinsberechtigung der Vollbeschäftigung dient verbieten sich. Schon komisch wie die Wirtschaft vom befreiten Markt träumt aber wenn auf dem Personalmarkt, Angebot und Nachfrage den Preis (Arbeitsbedingungen) regeln würde, jeden zur 40 Stundenwoche zwangsverpflichten würde. Wenn der Job so unattraktiv ist, braucht sich kein Arbeitgeber wundern warum die Stelle frei bleibt. Am Ende wird das Unternehmen Mitarbeiter finden, dass die attraktivsten Angebote macht. Bedeutet übrigens nicht zwangsläufig Viertagewoche, sondern auch Arbeitsklima, Wertschätzung, Bezahlung und Entwicklungsmöglichkeiten. Das wird Herrn Wais und anderen Neoliberalisten nicht schmecken aber Wachstum auf Ausbeutung funktioniert halt nur wenn jeder mitmacht.
"Nur weil jemand einen zusätzlichen Tag frei hat und vielleicht etwas weniger gestresst ist, arbeitet er (oder sie) die übrige Zeit ja nicht produktiver." Sehr lustig, ich lese gerade das Buch "Stolen Focus" von Johann Hari und habe dort gestern gelesen, dass es in Neuseeland genau so ein "Experiment" gab das dann als Ergebnis brachte, dass die Leute sogar deutlich produktiver sind, da sie eben weniger gestresst sind.
Wenn wir Produktivitä als das Mass der Dinge nehmen und einfach mal annehmen, dass diese Produktivität mit den Unternehmensgewinnen korreliert, dann müssen wir annehmen, dass wir immer produktiver werden. Was ja in der Vergangenheit oft zu solchen Aussagen wie "Dank der Automatisierung werden wir in 20 Jahren nur noch sehr wenig Arbeit haben". Und die Realität? Überstunden, schlecht bezahlte Jobs und ja, auch hier gibt es ein empfehlenswertes Buch, nämlich "Bullshit Jobs" von David Graeber. Der eben bereichtet, dass wir sehr viele Leute in unsinnigen Jobs haben, die bei näherer Betrachtung eigentlich komplett nunnötig sind. Natürlich sage ich damit nicht, dass Busfahrer oder Monteure für Wärmepuimpen unnötig sind, aber was wäre denn wenn wir die sinnlosen und frustrierenden Jobs streichen und das freigesetzte Personal in sinnvolle und notwendige Jobs umlenken würden.
Es gab in der Vergangenheit schon so oft Leute die den Status Quo mit dem Argument "Das geht nicht" beibehalten wollten bis eben jemand kam und zeigte, dass es sehr wohl geht, wenn man nur den Willen dazu hat. Niemand sagt, dass es einfach sein wird, aber vielleicht sollten wir auch mal überlegen, dass vielleicht auch gerade die aktuelle Situation von Arbeitskräften im Dauerstress dazu führt, dass wir langfristig einen hohen Bedarf an Pflegepersonal für die ausgebrannten Menschen haben.