Bewerber sind immer häufiger ungeeignet
Die Industrie stellt mehr Lehrlinge denn je ein. Die Ausbildungsleiterin eines Industrieunternehmens in der Region spricht von abnehmender Eignung der Bewerber.
Auf Susanne Nehers Schreibtisch landen viele Bewerbungen. Sie ist Chefin der Christ Akademie und damit verantwortlich für die Aus- und Weiterbildung in der gesamten Christ AG, einer in Benningen bei Memmingen ansässigen Firmengruppe. Das Unternehmen mit 1500 Mitarbeitern stellt hauptsächlich Waschanlagen für Fahrzeuge her – für Autos, Lastwagen, Busse und sogar Züge. Zwei Tochterfirmen bauen weitere Produkte, etwa Steuerungselemente wie Touchdisplays für Industrieanlagen und Verpackungsmaschinen.
Was sich Ausbildungsbetriebe von Schulen wünschen
Die Firmengruppe bildet in sieben Berufen aus – technischen, kaufmännischen und in der IT. Die Auszubildenden lernen überbetrieblich und kommen so mit allen Produktgruppen in Kontakt. Nach der Ausbildung dürfen sie mitreden, in welchem Bereich sie arbeiten wollen. Christ habe einen guten Ruf als Arbeitnehmer in der Region, biete sichere Jobs, zahle auch Azubis nach Tarif, ohne daran gebunden zu sein. Zu wenige Bewerbungen sind also nicht das Problem.
Die richtigen Bewerber sind es oft trotzdem nicht: „Unser Eindruck ist, dass sich die persönliche und fachliche Eignung der Bewerber in den letzten Jahren verschlechtert hat“, sagt Neher. „Die Jugendlichen sollten den Beruf ergreifen, der ihnen Erfüllung und Freude bringt. Viel zu oft wird ihre Entscheidung durch Gesellschaft und Eltern beeinflusst.“ Bei der Berufswahl spielten „häufig die Perspektive und die Bezahlung eine entscheidende Rolle“.
Vergangenes Jahr verdienten Azubis in der bayerischen Elektro- und Metallindustrie nach Tarif durchschnittlich 1111 Euro – mehr als in vielen anderen Branchen. Neher sieht auch die Schulen in der Pflicht: „Um den Jugendlichen die Berufswahl zu erleichtern, sollten in der Schule vermehrt Praktika angeboten werden.“ Es sei im Interesse aller, dass der Beruf auch den Interessen entspreche.
Elektro- und Metallindustrie hat mehr neue Azubis als je zuvor
Dass Bewerber immer häufiger ungeeignet für den angestrebten Beruf sind, ist offenbar eine Entwicklung in der gesamten bayerischen Elektro- und Metallindustrie, wie eine Statistik der Verbände Bayme und VBM zeigt. Gestern haben die Arbeitgeberverbände dieses Wirtschaftszweigs ihre Unternehmensbefragungen zur Ausbildung vorgestellt. Vergangenes Jahr wurden in der Branche mehr Ausbildungsverträge unterschrieben als jemals zuvor: Es waren mit 16.279 sieben Prozent mehr als im Vorjahr. Doch den Personalhunger stillt das nicht.
Bei gut einem Fünftel der Firmen gingen die abgeschlossenen Ausbildungsverträge im Vergleich zu 2017 zurück. Manche Unternehmen hatten genug Personal, bilden nur alle zwei Jahre aus oder unterschrieben aus wirtschaftlichen Gründen weniger Ausbildungsverträge. Häufiger lag es aber an äußeren Einflüssen: Knapp 41 Prozent der Firmen nannten zu wenige Bewerbungen als Ursache. Und sogar fast die Hälfte der Unternehmen sagte, es habe an der Eignung der Bewerber gelegen. Vor fünf Jahren antworteten nur acht Prozent der Firmen so. Mehrere Antworten waren möglich.
Industrie hofft auf baldiges Zuwanderungsgesetz für Arbeitskräfte
Um den Bedarf zu decken, setzt die Industrie Hoffnung in ausländische Arbeitskräfte. 27 Prozent der Unternehmen der Branche bilde mittlerweile Flüchtlinge und Asylbewerber aus, sagte Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der bayerischen Elektro- und Metallindustrieverbände Bayme und VBM. „Es ist wichtig, in den Integrationsbemühungen nicht nachzulassen“, sagte er. Er hoffe, dass das Fachkräftezuwanderungsgesetz bis Sommer verabschiedet werde.
Um Zuwanderern Berufsperspektiven aufzuzeigen, spielen digitale Inhalte eine immer wichtigere Rolle, etwa Praktikumsbörsen. Ab Sommer sollen Flüchtlinge, das planen die Verbände, mit speziellen Brillen in einer virtuellen Umgebung Berufe testen können. Allgemein nehme die Bedeutung digitaler Medien zu, sagte Brossardt. 80 Prozent der Elektro- und Metallunternehmen bezeichnen digitales Lernen laut den Verbänden als „wichtig“ oder „zunehmend wichtig“. Vor drei Jahren sah das nur gut die Hälfte der Firmen so.
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