Partnerland der Hannover Messe: Was ist das Geheimnis der Schweden?
Schweden hat eine aktive Start-up-Szene, auch Traditionsfirmen arbeiten an der Fabrik der Zukunft. Besuch in einem kleinen, aber experimentierfreudigen Land.
David Modig ist in vielerlei Hinsicht ein typischer Schwede. Groß, rötlicher Bart, voller Energie und guter Laune. Der 38-Jährige leitet zusammen mit seinem Vater Percy den Maschinenbauer Modig. Mit 60 Mitarbeitern stellen sie tonnenschwere Maschinen her, mit denen etwa Boeing die Tragflächen seiner Flugzeuge baut. Wer zusammen mit Modig durch die Produktionshalle der Firma geht, muss sich ranhalten, so schnell schreitet der Mann die Gänge ab. Und je mehr er erzählt über sein Produkt und die Ideen, die dahinterstecken, desto schneller wird er. Seine Augen strahlen, die Gesten werden immer ausufernder. Modig brennt für sein Unternehmen.
Es sind Menschen wie er und Firmen wie seine, die Schweden zu einem passenden Partnerland für die Hannover Messe machen, die in dieser Woche läuft. Denn auf der Maschinenbau-Leitmesse geht es darum, Trends in der Industrie zu zeigen, und davon gibt es in dem skandinavischen Land einige. Nach der neunten Klasse brach David Modig die Schule ab und stieg in den Familienbetrieb ein. Einen Abschluss hat er keinen. Aber viele Ideen. „Ich bin in diesen Hallen aufgewachsen“, sagt er. „Werkzeuge bauen liegt mir im Blut.“ In dem Betrieb sind Modig und sein Vater die Einzigen, die neue Produkte entwickeln.
Vor zehn Jahren haben sie angefangen, ihre Produktpalette komplett umzustellen; seitdem hat die Firma elf neue Maschinen auf den Markt gebracht. Mehr als eine im Jahr, das erstaunt sogar die Firmenchefs. Nun ziehen sie aus der kleinen Stadt Virserum weg in eine neue Werkshalle – in das knapp 100 Kilometer entfernte Küstenstädtchen Kalmar. Der alte Standort ist einfach zu klein geworden für die riesigen Maschinen. Die meisten Mitarbeiter wechseln den Wohnort. Nur der Seniorchef ist ein bisschen unentschlossen. Er lebt in einem Haus gleich hinter der jetzigen Fabrik und sagt: „Ich wurde hier geboren, habe mein ganzes Leben hier gelebt. Das ist nicht so leicht.“ Dennoch hat er sich eine Wohnung in Kalmar genommen – mal schauen, wie es da ist, sagt der 68-Jährige.
Hannover Messe 2019: Die Schweden gelten als "Early Adopter"
Auch das ist typisch schwedisch: Neues einfach mal ausprobieren. Die Schweden gelten als Early Adopter, als Menschen, die technische Neuerungen sehr frühzeitig nutzen, die sich leicht für Trends begeistern lassen. Deshalb ist das Land ein beliebter Experimentierraum für Unternehmen. Und deshalb entwickeln sich hier immer wieder Firmen, die sich nach und nach europa- oder weltweit durchsetzen: H&M, Ikea, Spotify, Ericsson und Volvo. Alles schwedische Unternehmen, die ihre Branchen prägten. Die Kreativität lässt sich auch in der Musikwelt ablesen. Abba, Roxette, Avicii, Nils Landgren – alles bekannte Musiker aus dem Land. Die schwedische Handelsministerin Ann Linde sagt sogar mit sichtlichem Stolz: „Schweden ist das Musik-Exportland Nummer eins.“
Dazu kommt: Fast nirgends in Europa ist die Start-up-Szene so aktiv. Stockholm ist außerhalb des Silicon Valley die Stadt mit den meisten Start-ups, die mehr als eine Milliarde Dollar wert sind – sogenannte Einhörner. Wie machen die das? Wer durch das Land reist und verschiedene Firmen besucht, merkt schnell: Es gibt eine gewisse Macher-Mentalität, die Einstellung: Wir sind zwar nur wenige, unser Land ist auch nicht besonders groß, aber wir können die ganze Welt erobern. Zum anderen liegt den Schweden sehr viel an flachen Hierarchien und Zusammenarbeit. Das lässt sich etwa an der traditionellen schwedischen Fika erkennen. Das Ritual ist in etwa mit einer Kaffeepause zu vergleichen. Nur institutionalisierter.
„Wir Schweden lieben Fika“, sagt Lena Miranda, sie leitet den Science Park Mjärdevi in Linköping. Solche Einrichtungen gibt über das ganze Land verteilt. Sie bieten jungen Firmen kostenlose Büroräume, sind meist an einer Universität angegliedert und arbeiten eng mit Firmen zusammen. So sollen junge Unternehmer Fuß fassen können. Die Initiativen werden vom Staat gefördert. Und in diesem großen Bürokomplex kommt der Fika eine ganz besondere Bedeutung zu. Weil sich die Menschen aus den verschiedenen Start-ups zu einem Plausch treffen. Das badische Sensorik-Unternehmen Sick zum Beispiel, das direkt neben dem Science-Park in Linköping eine Forschungseinrichtung für optische Sensoren betreibt, hat im Erdgeschoss des Standorts einen eigenen Fika-Bereich eingerichtet.
Es gibt eine Theke, eine Kaffeemaschine und mehrere Tische mit Sesseln darum. Jeden Tag, wenn die Schwarzwälder Kuckucksuhr an der Wand drei Mal zwitschert, kommen die Mitarbeiter aus den Büros und setzen sich zu einem kleinen Plausch zusammen. Kollegen aus verschiedenen Abteilungen und von unterschiedlichen Führungsebenen sprechen miteinander, tauschen sich über ihre Projekte aus. Die deutschen Sick-Mitarbeiter, die nach Linköping kommen, sind begeistert von dieser schwedischen Offenheit.
Robtoer-Firma ABB hat ihren Ursprung in Schweden
Die gibt es auch Themen wie Digitalisierung und Automatisierung gegenüber. Bei einer Untersuchung der EU-Kommission, in welchem Land die Menschen am wenigsten Angst haben, dass Roboter ihnen die Arbeit wegnehmen, landet Schweden auf Platz drei. Deutschland auf Platz 17. Vielleicht auch, weil mit ABB einer der größten Roboter-Firmen der Welt ihren Ursprung in Schweden hat und immer noch dort sitzt – in Västeras, etwa 100 Kilometer nordwestlich von Stockholm. Das Werk in Västeras sei die größte Roboter-Fabrik der Welt, sagt Johan Söderström, der das Schwedengeschäft von ABB leitet. Zahlen, die sich auf Absatz, Mitarbeiter oder Ausstoß beziehen, möchte er allerdings nicht nennen. Stattdessen gewährt er einen Einblick in die Fabrik der Zukunft. Durch die 300 Meter lange Montagehalle fahren kleine fahrerlose Wägelchen. Sie bringen Materialien, Teile oder Werkzeuge von einem Arbeitsplatz zum nächsten.
Käfige, in denen die großen einarmigen Roboter sonst häufig stehen, gibt es hier nicht. Die Gitter sollen sonst Menschen schützen, denn die Roboter können normalerweise nicht reagieren. Hier schon. Sie sind ausgestattet mit einer Vielzahl von Sensoren. Und so arbeitet ein ABB-Mitarbeiter Seite an Seite mit den Kolossen. Der Mann im schwarzen T-Shirt und mit leichtem Bart baut gerade eine der Maschinen zusammen. Dazu reicht ihm ein Roboter einen rot lackierten Fuß. Der Mann setzt Schrauben ein und zieht sie fest. Dann verlässt er den Arbeitsbereich und drückt auf eine runde Taste, die ein wenig an den Türöffner eine Straßenbahn erinnert. Ein anderer Roboter übernimmt die nächsten Schritte. Früher, sagt der schwedische Roboter-Chef Dennis Helfridsson, wäre so etwas undenkbar gewesen. Nun sollen nach und nach Roboter immer mehr Arbeiten übernehmen.
Hannover Messe: Partnerland Schweden hat auch Probleme
Die Maschinen sollen all das tun, was Menschen nicht so gerne machen, weil die Arbeiten schmutzig, langweilig oder gefährlich sind, sagt Steven Wyatt. Der Schotte ist Marketing-Chef bei ABB und gleichzeitig Vizepräsident der Internationalen Robotervereinigung (IFR). Die Zahl der Roboter wird steigen, prognostiziert er. „Roboter werden im Zentrum der Fabrik der Zukunft stehen.“ Vorausgesetzt, sie lernen, mit Menschen zusammenzuarbeiten. Doch die Schweden haben noch ein anderes Plus, mit dem sie im internationalen Wettbewerb punkten wollen: die Nachhaltigkeit.
Der schwedische Staat hat das Ziel ausgerufen, bis Mitte 2040 komplett CO2-neutral zu sein. Das nehmen alle sehr ernst. Einwohner genauso wie die Firmen. Bei allen Unternehmen kommt die Sprache meist früher als später auf das Thema Nachhaltigkeit. Viele beziehen sich auf die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinen Nationen. Ein Punkt darunter ist saubere Energie. Ein anderer: Geschlechtergleichheit. Und so sagt etwa der Roboterbauer Helfridsson: „Bei ABB haben wir leider nur 25 Prozent Frauen. Aber wir arbeiten daran.“ Ähnliche Sätze sind auch anderswo zu hören.
Ist in Schweden also alles besser? Na ja! Im Grunde steht das Land vor den gleichen Problemen wie Deutschland auch. Die Bevölkerung altert, die Firmen finden keine Fachkräfte. Dazu ist die Jugendarbeitslosigkeit enorm hoch. 2017 lag sie bei 20 Prozent. Die Antwort, die die Schweden darauf gefunden haben, ist konsequente Digitalisierung und die Förderung von Gründern. Über Einrichtungen wie die Science Parks, über die Vermittlung von IT-Kompetenzen schon in der Schule und über einen großen staatlichen Fördertopf für Forschung und Entwicklung.
Deutschland wiederum hat etwas, das den Schweden fast vollständig fehlt: einen starken Mittelstand. Denn in Schweden gibt es zwar etwa 1,2 Millionen Unternehmen. Aber nur etwa 8400 davon beschäftigen mehr als 50 Mitarbeiter. In den restlichen Betrieben sind weniger als zehn Menschen beschäftigt. Bezogen auf diese Zahlen ist der Flugzeugmaschinenbauer David Modig doch eine Ausnahme in seinem eigenen Land.
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