Verhältnis zu Kollegen entscheidet über Wohlbefinden
Stress. Termine. Und dazu noch die Sorge um den eigenen Job: Die Belastung am Arbeitsplatz nimmt zu, wie Psychologe René Jessulat festgestellt hat. Jedoch sei unklar, ob die Suizidgefahr wie bei France Télécom auch in deutschen Konzernen steigt. Von Joachim Göres
Dresden Stress. Termine. Und dazu noch die Sorge um den eigenen Job: Die Belastung am Arbeitsplatz nimmt zu, wie Psychologe René Jessulat festgestellt hat. Zwar sei unklar, ob die Suizidgefahr wie bei France Télécom auch in deutschen Konzernen steigt. "Aber es ist ein deutlich wachsender psychischer Druck festzustellen", sagt Jessulat, Psychologe bei einer Dresdner Beratungsfirma.
Er hat einen Fragebogen entwickelt, mit dem Unternehmen wie Airbus, BMW und Siemens die psychische Belastung ihrer Mitarbeiter feststellen. Erhoben werden unter anderem Zeitdruck, Stress und inwieweit man sein Aufgabenfeld mitbestimmen kann. Entscheidend für die Frage, wie wohl sich jemand am Arbeitsplatz fühlt, ist demnach aber das Verhältnis zu den Kollegen, das wiederum stark vom Verhalten der Vorgesetzten beeinflusst wird. "Bei Problemen muss man darüber sprechen, ohne andere dabei zu verletzen", sagt Jessulat.
Im besten Fall ziehen Firmen ihre Lehren aus festgestellten Defiziten: Bei den Dräger-Werken, einem international führenden Hersteller von Medizintechnik, besuchen seit diesem Jahr alle Vorgesetzten einen Kurs, in dem Gespräche mit Mitarbeitern trainiert werden. "Das Ziel ist es, unsere meist hoch qualifizierten Mitarbeiter zu halten und ihnen bei Problemen zu helfen", sagt Frank Ensslen, Werksarzt der 3800 Dräger-Beschäftigten in Lübeck.
In seine Sprechstunde kommen zunehmend Mitarbeiter, die sich den täglichen Anforderungen im Job nicht mehr gewachsen fühlen. "Das geht quer durch alle Alters- und Hierarchiestufen." In solchen Fällen versucht Ensslen kurzfristig Termine bei Psychotherapeuten für eine Burn-Out-Sprechstunde zu vermitteln. Hier lernen sie, selbstbewusster gegenüber Vorgesetzten aufzutreten und auch mal Nein zu sagen, wenn sie eine neue Aufgabe übertragen bekommen.
Wie Dräger reagieren immer mehr Arbeitgeber auf übermäßige Belastungen in der Belegschaft. Aus gutem Grund: Bei Mitarbeitern, die sich auf Dauer überfordert oder ungerecht behandelt fühlen, ist das Ausscheiden aus dem Betrieb nicht mehr weit. "Das kostet das Unternehmen letztlich viel Geld", sagt Jürgen Briem, Ombudsmann beim Software-Hersteller SAP.
Dort wurde für die 17 000 Mitarbeiter ein umfangreiches Konfliktmanagement entwickelt. Allein im ersten Halbjahr 2008 gab es bei SAP 55 Umstrukturierungen. "Durch Veränderungen entsteht automatisch hohes Konfliktpotenzial", sagt Briem. SAP bietet den Mitarbeitern anonyme telefonische Beratung durch Psychologen an. Zudem gibt es das Angebot der Mediation: Speziell geschulte SAP-Mitarbeiter versuchen, bei einem Konflikt zwischen den streitenden Parteien zu vermitteln und gemeinsam eine Lösung zu finden.
Jessulat erwartet dennoch, dass die Zahl der Mitarbeiter zunehmen wird, die wegen ständiger Überlastung ausgebrannt und nicht mehr arbeitsfähig sind. "Gerade in der Krise stürzen sich viele aus Angst vor dem Verlust ihrer Stelle in die Arbeit und haben keine Freizeit mehr. Das wird sich auswirken." Illusionen über die Wirkung seiner Studien macht er sich nicht: "Bislang hat noch keine Firma nach unserer Auswertung der Mitarbeiterbefragung neue Leute eingestellt, um den Druck zu senken." (Joachim Göres)
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