Nach dem Erdbeben fliehen die Anleger aus dem türkischen Markt
Die Erdbebenserie in der Südosttürkei trifft ein wirtschaftlich ohnehin geschwächtes Land. Der Wiederaufbau der verwüsteten Region wird viele Milliarden kosten.
Es ist ein apokalyptisches Bild, wie man es sonst nur aus Kriegsgebieten kennt. Während Rettungsmannschaften in den schwelenden Ruinen eingestürzter Wohnblocks nach Überlebenden und Toten suchen, steigt über dem Hafen von Iskenderun eine riesige schwarze Rauchwolke in den Himmel. Einer der wichtigsten türkischen Mittelmeerhäfen ist lahmgelegt.
Die beiden schweren Beben, die am Montagmorgen im Abstand von wenigen Stunden die Südosttürkei erschütterten, haben schwerste Schäden angerichtet. Über 6000 Gebäude sind eingestürzt, die Zahl der aus den Trümmern geborgenen Todesopfer stieg am Mittwoch auf 8500. Hunderttausende sind obdachlos. Die Infrastruktur ist schwerbeschädigt. Viele Straßen sind unpassierbar, Gasleitungen und Stromkabel unterbrochen, Wasserleitungsnetze zerstört. Mehrere Kliniken stürzten ein. Der Flughafen von Hatay, der jetzt für Hilfslieferungen besonders wichtig wäre, musste geschlossen werden: Das Beben hat die einzige Landebahn auf voller Breite aufgerissen, meterhoch türmt sich der aufgebrochene Beton auf.
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Die Katastrophe traf eine wirtschaftlich aufstrebende Region. Zentren wie Gaziantep, Kahramanmaras und Malatya galten wegen ihres schnellen Wirtschaftswachstums als "anatolische Tigerstädte". Das Gebiet trug im vergangenen Jahr immerhin zwölf Prozent zum türkischen Bruttoinlandsprodukt (BIP) bei. Jetzt liegen ganze Straßenzüge in Trümmern. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan kündigte an, die Regierung werde als Soforthilfe 100 Milliarden Lira bereitstellen, umgerechnet knapp fünf Milliarden Euro. Aber das wird bei weitem nicht reichen.
Das zeigt ein Vergleich mit dem schweren Beben in der Nordwesttürkei vom August 1999. Die Folgekosten der damaligen Katastrophe werden auf rund 20 Milliarden Euro geschätzt, zu Preisen von 1999. Analysten der Nachrichtenagentur Bloomberg erwarten, dass sich die Kosten des Bebens vom Montag in den kommenden zwei Jahren auf rund 5,5 Prozent des BIP belaufen werden. Das wären umgerechnet fast 50 Milliarden Euro.
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Das Beben von 1999 verschärfte eine Rezession, die bereits im Jahr zuvor begonnen hatte. Die Katastrophe war einer der Faktoren, die zur schweren türkischen Finanzkrise von 2001 führten. Auch diesmal trifft das Desaster ein wirtschaftlich bereits schwer angeschlagenes Land. Die Inflation belief sich im Januar offiziell auf 57,7 Prozent. Regierungsunabhängige Ökonomen beziffern die tatsächliche Teuerung auf 122 Prozent. Die türkische Lira hat im vergangenen Jahr 40 Prozent ihres Außenwerts verloren. Jetzt geht an den Finanzmärkten die Sorge um, die Katastrophe könnte sogar noch massivere wirtschaftliche Folgen haben als das Beben von 1999.
Viele Anleger ergreifen bereits die Flucht. Der Leitindex der Istanbuler Börse büßte seit Montag 16 Prozent ein. Das war der steilste Absturz seit der Finanzkrise von 2008. Am Mittwoch zog die Börsenaufsicht die Notbremse: Der Aktienhandel am Bosporus wurde eingestellt.
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